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Maria Stuart
Die Ohnmacht der Mächtigen
Mit Kaderbindern ist die Königin von Schottland (Susanne Wolff) auf einem Sitz fixiert, der an einen elektrischen Stuhl erinnert. Ein einfaches T-Shirt, ein schlichter Rock und Hauslatschen lassen nichts mehr von ihrem einstigen Stand erkennen. Ihre langen braunen Haare hängen unfrisiert um ihr ungeschminktes Gesicht. Ihre Gegenspielerin im Streit um die richtige Religion und die Macht auf der Insel, die Königin Elisabeth von England (Paula Dombrowski), dagegen trägt ihr weiß gepudertes Make-Up wie eine Maske vor sich her. Ihre ondulierte, blonde Frisur sitzt wie ein Helm. Ihr blauer Hosenanzug reiht sie fast geschlechtslos in die Reihe ihrer männlichen Berater (Peter Jordan, Peter Mooshammer) am Hofe ein. Einzig ihr zehnjähriger, windiger Verehrer Lord Leicester (Werner Wölbern) fällt mit grünem Rollkragenpullover zum hellbraunen Anzug optisch heraus.
Sie alle agieren in dem Haus ohne Wände und Türen, das von Bühnenbildnerin Katja Haß auf die Drehbühne gestellt worden ist. Wie in einem von der übrigen Welt abgeschotteten Kokon werden hier die Staatsgeschäfte ausgehandelt. Hier gibt es keine Intrige, die lange geheim gehalten werden kann. Jeder spioniert jeden aus. Weder für Maria noch für Elisabeth gibt es Sicherheiten. Beide Königinnen fühlen ihre Ohnmacht. Maria glaubt sich zu Unrecht den politischen Machtspielen der Feinde ausgeliefert. Elisabeth fühlt sich vom Pöbel zu Entscheidungen gedrängt und von möglichen Attentätern umgeben. Sie spürt deutlich: Entscheidungsgewalt kann schnell zur Last werden.
Stephan Kimmig analysiert gekonnt die Schattenseiten der Macht. Spannend bis zum Schluss variiert er geschickt das Tempo. Die Töne zwischen den Szenen steigern sich fast unmerklich von leisem Ticken zu einfachen Rhythmen und ganz zum Schluss zu einem pfeifenden Kreischen.
Am Ende steht Elisabeth ganz alleine da. Alle ihre Berater hat sie entweder heraus geworfen oder sie haben sie verlassen. Zwar hat Elisabeth die „Gefahr Maria“ beseitigt. Von dieser Seite kann ihr kein Unheil mehr drohen. Doch ihre Freude klingt unecht. „Ich bin frei“, ruft sie und hebt die Arme hilflos in die Luft. Ihre Gesichtszüge verraten das Gegenteil. Gefangen ist sie in ihrer Rolle der Machthaberin.
Die fest in ihrem Glauben verankerte Maria dagegen spricht in ihrer letzten Szene vor ihrer Hinrichtung vom himmlischen Frieden, von dem sie jetzt wohl nur noch wenig trenne. Sie ist bei sich geblieben. Selbst in ihrer Begegnung mit der Königin winselte sie nicht um Gnade sondern schleuderte all ihren Hass der Rivalin entgegen.
Kimmig versucht keine einfache Aktualisierung. Er stellt die Sprache Schillers gegen die moderne Ausstattung, die auch zu einer heutigen Schaltzentrale eines Unternehmens oder des Bundeskanzleramtes passen könnte. Parallelen zur Gegenwart werden so sichtbar ohne platt ausgespielt zu werden. Das Publikum im bis auf den letzten Platz ausverkauften Haus zeigte seine Begeisterung für die Inszenierung und die darstellerische Leistung mit lang anhaltendem Beifall.
Birgit Schmalmack vom 1.4.07