Die Schuld des Kinderkriegens

Brüste und Eier, Thalia Copyright: Krafft Angerer


Männer sind hier Nebensache. Sie kommen zwar auch auf der Bühne vor, aber als Beiwerk. Sie sind lästig, überflüssig, störend oder abwesend. Wie der Titel schon vermuten lässt, geht es um Frauenthemen. Obwohl, wie die Hauptperson irgendwann feststellen muss, Spermien eine nicht ganz unwichtige Funktion erfüllen, wenn man als Frau ein Kind bekommen will. Doch warum eigentlich sollte man das tun? Warum erdreistet sich eine Mutter ein Lebewesen in diese Welt zu stoßen ohne dessen Einwilligung erfragt zu haben? Sind diese Mütter nicht allesamt Egoistinnen? Bin ich mehr ich, wenn mich der Natur füge oder wenn ich mich der Natur widersetze?
Das alles fragt Natsuko (Maike Knirsch ) gleich zu Beginn die Zuschauer:innen ganz direkt. So sind alle gleich mittendrin im Thema des Abends.
Dann wird Natsukos Geschichte in einem Brain-Twist ganz von hinten aufgezäumt. Denn die Erzählerrolle übernimmt ihr noch ungeborenes Kind (Nils Kahnwald), von dem zu diesem Zeitpunkt es noch fraglich ist, ob er überhaupt je zur Welt gebracht werden wird. Denn, wie gesagt, Natsuko hegt da fundamentale Zweifel moralischer Art. Zunächst wird sie auch bestätigt von den Erfahrungen ihrer Schwester (Hans Löw), die sie aus Osaka in Tokio besuchen kommt. Im Schlepptau hat sie ihre zwölfjährige Tochter (Julian Greis), die seit einem Jahr das Sprechen eingestellt hat. Sie hat beschlossen in den Protest für ihr Dasein zu gehen, seit ihre alleinerziehende Mutter beschlossen hat sich ihre Brüste vergrößern zu lassen, um auch noch mit zunehmendem Alter ihren Lebensunterhalt als Hostess verdienen zu können. Nur ihrem Tagebuch vertraut die Tochter ihre Gedanken an. Diesem Leben als Frau stellt sie ihren stillen Widerstand gegenüber.
Doch dann kommt dieser eine Moment in Natsukos ein paar Matten großen Wohnung, der sie zum Umdenken bringt: Zum ersten Mal reden Mutter und Tochter wieder miteinander, während sie sich kartonweise Eier auf den Kopf schlagen. Ein poetischer befreiender Moment, in dem Natsuko beschließt doch Mutter werden zu wollen. Oder vielleicht auch nicht? Wer weiß das schon genau?
Denn diese Umsetzung des Romans von Christopher Rüping ist ein einziges diskursives Gedankenspiel. Alle Figuren scheinen wie aus dem Kopf von Natsuko entsprungen. Eine Erzählung bekommt eine Gegenerzählung. Eine Überlegung eine Kontraüberlegung. Immer wieder geht das Leben einfach weiter und die Jahre verstreichen, ohne dass eine Entscheidung getroffen. Denn ein Hindernis gibt es immer noch: Ein Mann ist in Natsukos Leben Fehlanzeige. Als ein möglicher Kandidat auftaucht, ist dieser schon verheiratet. Selbst als er sich trennt, hat Natsuko schon festgestellt: Eigentlich will sie nur ein Kind aber keinen Mann. Männer sind für sie verzichtbar. Fast hätte sie schon auf künstliche Befruchtung zurückgegriffen, da findet sich so doch ein natürlicher Samenspender, doch die Vaterrolle gesteht sie ihm nicht zu. Rüping findet eine sehr ungewöhnliche Form der Bühnenerzählung für diesen Roman der japanischen Autorin Mieko Kawakami. In der ersten Hälfte tragen die Personen fast alle Masken und werden von anderen Schauspielerinnen des Ensembles synchronisiert. Das Chaos im Kopf von Natsuko bildet sich auf der Bühne ab. Auf ihr befinden sich nur flexible mobile Versatzstücke eines Bühnenbildes. Bis sie alle Botschaften für sich entschlüsselt und eingeordnet hat, vergeht viel Zeit, auch für das Publikum. Diese Inszenierung verlangt Einfühlung, Geduld und Einlassen auf diese nicht lineare Erzählform. Die auch noch mit allerlei Witz, Maskerade und Tanz und Musik angereichert ist. Zusätzlich will sich Rüping keinesfalls dem Vorwurf der kulturellen Aneignung aussetzen. Also stehen auch zwei japanische Schauspielerinnen mit auf der Bühne und große Teile werden zweisprachig angeboten. Mit dem größtenteils weiblichen Ensemble, in dem auch fast alle Männer ebenfalls Frauen spielen, will Rüping als männlicher Regisseur die weibliche Perspektive genügend stark berücksichtigen.
Wer einen stringenten klar fokussierten Theaterabend erwartet, wird also klar enttäuscht werden. Wer sich auf einen verspielten, wie zufällig entstandenen, chaotischen Abend einlassen mag, der über große Teile die Ereignislosigkeit eines durchschnittlichen Lebens abbildet, der wird nach dreieinhalb Stunden zufrieden aus dem Theater kommen.
Birgit Schmalmack vom 23.5.22

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