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Bunbury, EDT

Bunbury im EDT Foto: Oliver Fantitsch

Ein Spiel mit den Realitäten

Algernon (toll: Patrick Abozen) rekelt sich auf seinem Sofa, der Butler (Oliver Warsitz) ruht ergeben neben ihm, ein leere Flasche Wein in Reichweite. "Tu, Tu, Tu, Tu, Bu", trällert der Chor, der sich rechts und links von der freistehenden Wand postiert hat. Algernon singt seinen Eingangssong "I play..." mit größter Lässigkeit. Denn er ist ein Dandy, der es für unanständig hält einer ernsthaften Tätigkeit nachzugehen. Er verbringt seine Zeit lieber mit Gurkenschnittchen, Flirten und Bunburysieren. So nennt er es, wenn er von London aufs Land verdünnisiert, um seinen angeblich kranken Freund Bunbury zu pflegen. Eines Tages erkennt er in seinem Freund Ernst (Felix Lohrengel) einen Gleichgesinnten. Der hat einen Bruder erfunden, um gelegentlich vom Land in die Stadt entschwinden zu können. Doch dann macht die Liebe den beiden Bunburyanern einen Strich durch ihre eingespielten Gepflogenheiten: Sie verlieben sich und wollen heiraten. Obwohl auch der Ehestand eine Zweitexistenz durchaus nützlich erscheinen ließe, sehen sie sich gezwungen ihre jeweiligen zu liquidieren, da die Damen (Christina Arndt, Dagmar Bernhard) ihnen auf die Schliche kommen.
Ein Verwirrspiel erster Güte hat sich Oscar Wilde ausgedacht, um die englische feine Gesellschaft auf die Schippe zu nehmen. Nun wirkt es freilich heutzutage etwas antiquiert und arg konstruiert. Regisseur Anatol Preissler hat sich am Ernst Deutsch Theater einiges ausgedacht um dem Stück weitere Ebenen zu verschaffen. Er versetzt die Szenerie in ein Zwischending aus Behauptung und Realität. Dabei hilft ihm einerseits das Bühnenbild, das Versatzstücke eines Salons oder einer Gartenlaube in die freie Landschaft setzt und sie damit surreal anhaucht. Zweitens und das ist noch wirkungsvoller, lässt er seine Akteure immer wieder zum Mikro greifen und einen Popsong hinschmachten. Dann sind sie mit ihren historisierenden Kostümen ganz in der Jetztzeit der Showwelt angekommen. Ein weiteres Highlight der Inszenierung ist Jens Wawrczeck als Lady Bracknell. Von Travestie keine Spur, stattdessen ein ernsthaftes Spiel mit der Realtitäten.
Diese Tricks funktionieren in der ersten Hälfte ganz wunderbar. Die Figuren werden durch die Songs immer wieder über sich selbst hinausgehoben und das Ganze so zu einem offensichtlichen Spiel erklärt. Doch in der zweiten Hälfte gerät der Regisseur immer weiter in die Fänge der Geschichte und vergisst die zweite Ebene zusehends. Das Stück nimmt seinen unvermeidlich konstruierten Boulevard-Lauf mit vorprogrammiertem Doppel-Happy-End. Außerdem wird der Klamauk-Faktor immer höher. Spätestens wenn die Frauen ihren Zickenkrieg auf die Spitze treiben, ist die bisherige ironische Distanz fast ganz verflogen. Schade dass Preissler seinen überzeugenden Inszenierungsansatz nicht bis zum Ende verfolgt hat. Dann wäre der Spaß noch ungetrübter gewesen.
Birgit Schmalmack vom 5.1.17