Immer Bella Figura

Das Pferd will eine Elfe sein, Sprechwerk Foto: Steffen Gottschling



Eine Balletttänzerin zu sein, das wäre schon immer ihr Traum gewesen, erinnert sich Victoria Marie Strehlow. Nein, eigentlich wohl doch der ihrer Mutter. Wenn die anderen Kinder zum Spielen ging, musste sie zum Training. Wenn die anderen sich zum ersten Mal verliebten, band sie sich die Brüste ab. „Mutter ich danke dir, sonst wäre heute nicht da, wo ich jetzt bin: eine Solo-Künstlerin ohne festes Einkommen.“
Victoria muss heute von ihren Erinnerungen an bessere Zeiten zehren. Denn sie steht nicht mehr als Prima Ballerina auf der Bühne. Für eine Tänzerin in der ersten Reihe ist das Älterwerden nicht vorgesehen. So schlägt sie sich heute mit Tanzunterricht für junge Nachwuchstänzerinnen durch. Alle völlig untalentiert, wie sie findet. Alles Pferde, aus denen nie eine Elfe werden wird. Denn die einzige, die wie eine Elfe über die Bühne schweben kann, ist und bleibt sie selbst. Mit dieser Illusion hält sich Victoria am Leben. Auch wenn dieses immer wieder Nackenschläge für sie bereithält. Als sie endlich einen ersehnten Anruf von einer Agentur erhält, will diese sie nur für eine Werbekampagne für die Generation der Golden Ager buchen. Doch auch das schluckt die Frau, die unter ihrem kapriziösen, exaltierten Auftreten ihr angekratztes Selbstbewusstsein eisern versteckt hält, mit aufrechter Haltung herunter. Immer Bella Figura. Das gilt für sie nicht nur für ihren Körper sondern auch für ihre Lebenshaltung. Nie den eigenen Schmerz anmerken lassen. Immer eine strahlende Erscheinung sein. Diese Überzeugung hat sie so lange für andere gespielt, dass sie sie mittlerweile auch nicht mehr ablegen kann, wenn sie mit sich alleine in ihrem Probenstudio ist. Zunächst hat sie dafür noch ihren nur für sie spielenden Pianisten (Sebastian Hubert) als männliches Gegenüber benötigt, doch am Schluss, als auch er sich verabschiedet hat, spult sie ihre Selbstdarstellungsshow ganz ohne Publikum ab.
Christa Krings ist die Idealbesetzung für dieses Stück, das ihr Klaus Wirbitzky auf den Leib geschrieben hat. Auf der Bühne des Hamburger Sprechwerks wirbelt die Schauspielerin, die auch Tänzerin und Chansonsängerin ist, durch das Studio mit der Ballettstange, dem Spiegel und ihrem Garderobenständer, dass man ihr in jeder Sekunde die alternde Prima Ballerina, die nicht von ihrer Lebensrolle ablassen kann, glaubt.
Birgit Schmalmack vom 23.12.21