Erschreckend aktuell

Professor Mamlock, Sprechwerk Foto: G2 Baraniak


Ein bequeme Zurücklehnen erlaubt dieser Theaterabend nicht. Professor Mamlock, das Drama um einen jüdischen Klinikleiter, der aufgrund der Rassengesetze seines Amtes enthoben wird und Selbstmord begeht, wird im Hamburger Sprechwerk zu einem eindringlichen Plädoyer für die Kontinuität des rassistischen Gedankenguts bis heute. Das Hereinbrechen der Realität des Schreckens wird auch schon im Bühnenbild deutlich. Die große schöne Villa von Professor Mamlock und seiner Familie wird durch eine große Fensterfront mit Blick auf einen blühenden Kirschbaum symbolisiert. Im Salon steht nur eine schickes hellrosafarbenes Designsofa. Die große Fensterfront offenbart Offenheit und zugleich Gefahr. Als sie mit dem Transparent Jude in einer Szene verdeckt wird, sind die Zeichen auch für die Familie Mamlock eigentlich nicht mehr zu übersehen. Tochter Ruth hat sie verstanden, doch ihr Vater bemüht sich weiterhin seinen Zweckoptimismus und seinen Glauben an das Rechtssystem Deutschland nicht zu verlieren. Er als anerkannter Spezialist auf seinem Gebiet, völlig unpolitischer Mensch und ehemaliger Frontsoldat im ersten Weltkrieg werde nicht ins Visier der braunen Kräfte geraten, so hofft er. Deutschland ist seine Heimat. Er habe keine andere, entgegnet er, als Freunde ihm raten, das Land zu verlassen.

Der junge Regisseur Aron H Matthiasson hat das 1933 von Friedrich Wolf verfasste Schauspiel „Professor Mamlock“ optisch ganz ins Heute transferiert. Er hat hervorragendes Schauspieler:innen für die Inszenierung in der Reihe Wortgefechte im Sprechwerk zur Verfügung. Gustav Peter Wöhler und Maria Hartmann stehen neben altbewährten Wortgefechte-Mitstreiter:innen (Stephan Arweiler, Jasmin Buterfas, Joachim Liesert, Holger Umbreit) auch junge beeindruckende Neuzugänge (Stella Wiemann, Christoph Plöhn) auf der Bühne. So wird die Eindringlichkeit des Themas noch durch eine hochkarätige Besetzung unterstrichen. Warum allerdings Mikroports auf einer kleinen Bühne wie dem Sprechwerk nötig sein sollen, bleibt ein Geheimnis.

Matthiasson. bewahrt in seiner Umsetzung vermeintlich Distanz zu dem historischen Stoff, doch wenn die Schauspieler:innen sich selbst filmen, rückt das Geschehen ganz dicht an die Zuschauer:innen heran. Dann offenbaren sie in der Großaufnahme direkt ihre Gefühle und Meinungen, die beunruhigend übergangslos von der Vergangenheit direkt in die Gegenwart übergehen. Die rassifizierte Sprache des Nazi-Sprechs lässt schaudern, doch besonderes Grauen ruft sie hervor, wenn die Jahreszahlen und Orte direkt in die Gegenwart nach Halle; Kassel oder Hanau übergehen. Dieses Gedankengut lebt nicht nur fort sondern führt immer noch zu Taten, die zeigen, dass das Lernen aus der Geschichte nicht so nachhaltig ist, wie man in Deutschland immer glaubt.

Birgit Schmalmack vom 26.3.22