Scham ist ein beschisseneres Gefühl als Angst


Ein Opfer will Hazal auf keinen Fall sein. Als sie beim Klauen kurz vor ihrem achtzehnten Geburtstag erwischt wird, macht sie sich vor dem Ladendetektiv so klein, dass sie sich vor sich selbst ekelt. Nur um ihre Geburtstagsparty nicht zu gefährden. Sie nimmt die Erniedrigung in Kauf, denn ihre Eltern sollen auf keinen Fall von dem Diebstahl erfahren. Doch sie weiß: Scham ist eine beschisseneres Gefühl als Angst. Als sie dann mit ihren Freundinnen vor dem Club abgewiesen wird, obwohl sie sich stundenlang aufgebrezelt haben, steigt eine Wut in ihr hoch, die sie von innen aufzufressen droht. Sie ist nicht nur wütend auf die Türsteher sondern auch auf ihre Eltern, die ihr alles verweigern, was den anderen Mädchen erlaubt ist. Sie ist auch wütend auf die deutschen Mitschülerinnen, die scheinbar so viel bessere Möglichkeiten geboten bekommen, dies nicht einmal ahnen und nichts dafür getan haben. Sie ist wütend auf alle um sie herum, die alles zu bekommen scheinen, das ihr für immer verweigert bleiben wird. Sie ist wütend auf dieses System, dass sie aussortiert. Sie ist wütend auf ihre Beschränkungen durch die türkische und die deutsche Umgebung, die ihr Leben zu einem Gefängnis machen, wo sie sich doch so sehr nach Freiheit sehnt.

Nur eine aufblasbare "18" steht auf der leeren Bühne, die mit schwarzem Schnipseln bestreut ist. Hier tigert Katherina Sattler schon beim Eintritt der Zuschauer ins Junge Schauspielhaus im Kreis herum. Schon jetzt spürt man ihre Anspannung und aufkeimende Wut. Sattler steht alleine auf der Bühne, um den Roman von Fatma Aydemir "Ellbogen" auf der Bühne zu erzählen. Sie erschafft die Welt der Protagonistin Hazal Akgündüz in Personalunion. Sie lässt alle Figuren durch einen stetigen Rollenwechsel erscheinen. Das macht Sattler grandios. Nur mit einer Beugung des Oberkörpers, nur mit einer Senkung der Stimme, nur mit einem Verschieben der Mundwinkel wird sekundenschnell klar, wessen Rolle sie jetzt gerade übernimmt. So zeigt sie Hazals Ringen um Würde zwischen Berlin und Istanbul auf eine so bezwingende Art, dass die 90 Minuten auch nicht eine Sekunde langweilig werden. Eine mitreißende Story erzählt Alexander Riemenschneider hier mit seiner exzellenten Darstellerin, die hinter die Fassaden, Klischees und Vorurteile blicken lässt, gerade weil sie sie nicht negiert.

Birgit Schmalmack vom 11-4-18