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Netzwelt, Kammerspiele

Die Netzwelt -foto: Anatol Kotte


In der Schattenwelt

In nicht allzu ferner Zukunft wird es wohl zwei Welten geben: Die der realen Existenz und die der virtuellen Realität. Die Menschen wechseln dann von der einen in die andere. Doch können sie für Handlungen in der VR genauso zur Verantwortung gezogen werden wie in ihrem realen Leben? Und wie werden sich ihre Erlebnisse in der Netzwelt auf ihre Gefühle und Gedanken und letztlich Handlungen in der realen Welt auswirken?
Diese Fragen stellt Jennifer Haley in ihrem Sience-Fiction-Stück "Die Netzwelt", das jetzt an den Hamburger Kammerspielen gezeigt wird. Die beiden Welten sind auf der Bühne nur durch eine Glaswand voneinander getrennt. Nur bei entsprechender Beleuchtung wird die virtuelle sichtbar. Mr. Sims ist auf beiden Seiten zugegen. Auf der realen muss er sich für die Erschaffung seines "Refugiums" rechtfertigen. Und zwar vor Officer Morris, die die Ermittlungen gegen ihn wegen des Vorwurfs des Kindesmissbrauchs führt. Denn Sims stellt in seiner Fantasiedomain junge Mädchen seinen männlichen Gästen zum vielfältigen Gebrauch zur Verfügung. Ob zum Sex, zum Spiel oder zum Ermorden. Alles ist in der Fantasie erlaubt. Dass die Gefühle, die die Gäste in dem Refugium dabei empfinden, sich sehr real anfühlen, hat Morris Spitzel am eigenen Leibe erfahren.
Welche Möglichkeiten in der VR außerdem noch liegen, wird im Verlauf des Stückes klar. Die klare Unterscheidung in gut und böse, in moralisch und unmoralisch, in erlaubt und illegal wird dabei immer diffuser.
Die Darsteller, die Regisseur Ralph Bridle für seine Inszenierung zur Verfügung hat, spielen alle brillant. Christian Kohlund ist ein seriös wirkender, Vertrauen erweckender "Papa", dem man gerne seine Unschuld glauben möchte. Neda Rahmanian ist eine bohrend nachfragende Ermittlerin, der man in zahlreichen angedeuteten Gesten die eigene Betroffenheit anzumerken beginnt. Annika Schrumpf eine glaubhafte Frühpubertierende, die mit kindlichem Sex-Appeal die Besucher des Refugiums verführt. Marco Albrecht ein Physiker und Refugiumsbesucher, der seine Zerrissenheit in seinem Spiel offenbart.
Der Abend wird zu einem - auch für die Zuschauer - herausfordernden Spiel mit den immer weiter verwischenden Grenzen zwischen Realität und Virtualität. Dabei wirken die Szenen vor der Glaswand noch überzeugender als die in der plüschigen Fantasiewelt Hier wäre vielleicht etwas weniger Detailverliebtheit besser geeignet gewesen, die Vorstellungskraft der Zuschauer noch mehr anzuregen.
Birgit Schmalmack vom 22.4.16