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Im Kimmig-Labor

Die Wildente, DT Foto: Arno Declair


Weiß ist die Kammer, in die Stephan Kimmig seine menschlichen Laborratten schickt. Strahlend hell erleuchtet seziert er dort ihre Haltungen, Neurosen und Kommunikationsunfähigkeit. Denn kommunizieren kann bei ihm keiner, der durch die Scheibetür in den Sezierkasten gelassen werden. Jeder redet nur für sich und mit sich selbst. Alle sind mit dem Verlust ihrer Vergangenheit und damit auch ihrer Zukunft beschäftigt. Eine Gegenwart kennen sie nicht. Einzig das junge Mädchen unten ihnen versucht in dieser zu leben, indem sie sich an eine „Wildente“ klammert, die durch eine Verletzung in der Gefangenschaft dieses Haushalts kam und dadurch ihre Wildheit auf Dauer eingebüsst hat. Sinnigerweise wird sie bei Kimmig in einem transparenten Rollwagen durch die Gegend gezogen, mehr tot als lebendig. Der Übergang vom Leben zum Tod ist hier eh fließend, hat vielleicht schon seine Bedeutung verloren. So gefangen scheinen auch die anderen Hausbewohner, die sich hier treffen. Die beiden Eheleute, die eher durch Alternativlosigkeit als durch Liebe verbunden sind. Der Untermieter, der Doktor, der mit zynischen Bemerkungen und allerlei Schabernack die Ödnis dieses Hauses aufzuheitern versucht. Der Vater des Ehemannes, der unsichtbar bleibt, weil er sich schon aus seinem gesellschaftlichen Dasein verabschiedet hat, nachdem er wegen Veruntreuung ins Gefängnis musste. Und seit neustem ist auch noch die Tochter seines ehemaligen Geschäftspartners mit zur Untermiete eingezogen. Sie verachtet ihren Vater aufgrund seiner Machenschaften und noch mehr aufgrund seiner Fähigkeit sich jeder Verantwortung zu entziehen. Als sie erfährt, dass er die Ehe in diesem Haus angestiftet hat und es nach wie vor finanziell unterstützt, weiß sei genau, was sie zu tun hat: Sie muss in dieses Haus die Wahrheit einziehen lassen, mit sich als ihrem Vertreter. Dass statt der erhofften Läuterung und Aufarbeitung nur die Katastrophe Einzug erhält, ist rasch erkenntlich, jedenfalls für jeden Beobachtenden außerhalb dieses Laborkastens.
Der Inhalt ist klar ein Ibsen-Stoff. Doch die metaphorische Bebilderung der Nacherzählung war Kimmig dieses Mal zu wenig. Er musste den Text bis aufs Skelett abnagen, alle Figuren bloßstellen, damit ihr Drama noch deutlicher hervortritt. Doch so wurde aus dem psychologischen Spiel eine reine Versuchsanordnung. Die Schauspieler:innen hatten es schwer ihren Rollen ein Hauch Menschlichkeit zu verschaffen. Zu knauserig war Kimmig diesen Mal mit dem Spielmatierial dafür gewesen. An den hervorragenden Schauspiler:innen liegt es nicht. Besonders Judith Hofmann gelingt es zeitweise sehr überzeugend gegen die pathologische Eindeutigkeit ihrer Rolle anzuspielen. Besonders deutlich wird dieser Mangel am dramatischen Ende. Als der Schuss fällt, mag sich kaum Rührung und Bestützung einstellen. Allzu menschlich wären diese Regungen der Zuschauer:innen gewesen, unangemessen den Versuchspersonen, die auf der Bühne agieren sollten.
Birgit Schmalmack vom 18.10.21