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Authentizität oder Selbstinszenierung? Wahrhaftigk



Ganz klar: Zwar predigt jeder zurzeit die Authentizität und vom beschwörenden Kampf gegen die Fake-Nachrichten, doch eigentlich gehört dem Schauspiel, dem Vorgaukeln, dem Verschweigen, dem Beschönigen die Aufmerksamkeit und der Sieg. Das Volk will betrogen werden. Schließlich belügt sich auch der einzelne ständig selbst. Das jedenfalls erfährt der dreifache Dionysos, als er versucht die Bürger Thebens von seiner Vision einer neuen Gesellschaft zu überzeugen. Man glaubt ihm nicht. Liegt es vielleicht daran, dass er sich selbst schon nicht mehr glauben kann? Doch womit kann Dionysos für sich werben? Welche Utopie einer anderer Gesellschaft kann er seinen Zuhörer:innen zeichnen? Wie sollte der Ausbruch aus dem starren Korsett der Istzustandes unter dem jetzigen Herrscher Pentheus aussehen? Er weiß es selber nicht. Er weiß nur, wogegen er antritt.

Jungregisseur David Moser von der Bayerischen Theaterakademie versucht in seiner Bakchen-Überschreibung "Fake it til you die" die Antwort. In einer Welt, in der alles ineinander morpht, keine klaren Grenzen mehr gezogen werden, jeder nur noch um sich selbst kreist, gerät der Veränderungswille zu einer bloßen Behauptung, gegenüber dem sich die Gesellschaft im Zweifel für die Bewahrung des bisher Erlangten ausspricht. Der "Change" als Wert an sich verkommt zu einem inhaltsleeren Versprechen, das mehr Fragezeichen aufwirft, als es Antworten zu geben vermag. Nein, dieser Dionysos in dreifacher Ausfertigung mag seine gepolsterten weißen Schaumstoff-Togen abgelegt haben und sich nun in Businessoutfits in zarten Bonbontönen zeigen, seine Marketingstrategie bleibt dürftig. Der Abend bot viel Unterhaltsames, verlor sich aber wie sein dreifacher Möchtegernrevolutionär irgendwann im allzu Ungefähren.

Birgit Schmalmack vom 10.6.22