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Jeder kann alles

Trouble von Gus van Sant Bruno Simaoboca



Ein bebrilltes Muttersöhnchen unter all den coolen jungen New Yorkern. Dieser Kontrast wird gleich in der ersten Szene ausgestellt, als ein gewisser Andrew Warhola eine angesagte Kunstausstellung besucht und nur durch seine Unauffälligkeit auffällt. Dennoch ist sein Ziel ganz klar: Er will Kunst machen. Und damit viel Geld verdienen. Im New York der Sechziger scheint das für jemanden, der sein Ziel mit aller Energie verfolgt, auch möglich zu sein. "Jeder kann alles, alles ist erreichbar", ist das Motto. Zumindest wenn man dazu auch das richtige Outfit hat. Erst als Andrew Warhola, der spießige Brillenträger im beigen Anzug zu Andy Warhol mit weißer Perücke, Slim Jeans und Lederjacke wird, kann er seine Factory mit den jungen Leuten füllen, die an ihn glauben und ihn unterstützen. Seine Geheinmisumwobenheit beschert ihm auch eine ehrgeizige und äußerst kommunikative Frau an seiner Seite, die für zusätzlichen Glamour sorgt: sein neuer Superstar, wie er sie fortan ankündigt. Doch es bleibt bei der Ankündigung, denn seine Filme, die er mit ihr dreht, sind zum Teil achtstündige Performances, die so wenig Menschen durchhalten, das sie für die Kreierung eines Starruhms nicht taugen. Allerhöchsten für den des Exzentrikers Andy Warhol.
Der Filmregisseur Gus van Sant hat sich in das Terrain des Theaters vorgewagt. Sind die Kunstwerke auf der Bühne auch abstrakt, ist seine Theaterinszenierung eher konventionell. Sie hangelt sich an den biographischen Daten von Warhol entlang. Weggenossen wie Truman Capote, Jasper Jones und Edie Sedgwick sind wiedererkennbar auf der Bühne zu sehen. Damit van Sant erst gar nicht in die Verlegenheit kommt, die Erwartungen an verkünstelte Entwicklungen der neueren Theatergenerationen erfüllen zu müssen, gestaltet er seine Inszenierung eher wie eine Musicalshow. Einzig sein Cast überrascht. Allesamt sind unwahrscheinlich jung, um nicht zu sagen, viel zu jung besetzt. Das erklärte er in einem Interview, das im Programmheft abgedruckt ist, so: Da Warhol in der Jugend die Zukunft sah, stehen hier ausschließlich junge Leute auf der Bühne.
Wie die Show von "Socalled & Friends" steht auch bei dieser Porduktion im Rahmen des Sommerfestivals der Wohlfühlfaktor im Vordergrund, doch während bei der "4th Season" niemand auf die Idee kommen könnte, hier alles ganz ernst zu nehmen, fehlt genau diese sympathische Selbstironie bei der Arbeit Gus van Sant. Dieses Musicalbiopic versucht eine seltsame Mischung aus akribischer Recherche mit Daten und Jahreszahlen und romantischer Verklärung. Spätestens wenn Truman Capote und Andy Warhol sich im Himmel wieder treffen, ahnt man aber, dass auch hier nicht alles ganz faktenbasiert gemeint sein wird.
Birgit Schmalmack vom 25.8.22