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Licht im Dunkeln

"Licht im Dunkeln" im Ernst-Deutsch-Theater Foto: Oliver Fantitsch

Mit einem Wort die Welt erkennen

In ihrem kleinen Schrank ist Helen gefangen. Liebevoll ist er von ihren treusorgenden Eltern hergerichtet, doch beschränkt er sie auf ein nur zu ertastendes Umfeld. Sie ist nach einer Krankheit im Alter von 19 Monaten taubstumm und blind. Worte erschließen erst die Welt. Sie lassen erst zu, dass Gefühle, Gedanken und Geschehnisse benannt und erkannt werden können. Die Sprache eines Menschen ist die Voraussetzung für seine geistige Teilhabe an der Welt.
Erst Helens Lehrerin Annie Sullivan (Birge Schade) besteht darauf, dass das Mädchen nicht Mitleid sondern Wissen verdient. Sie wagt es im Gegensatz zu ihrer Familie Ansprüche an die kleine, verwöhnte Tyrannin zu stellen. Sie glaubt gegen den Widerstand der Eltern daran, dass auch Helen Tischmanieren erlernen kann. Sie liefert sich Kämpfe mit Helen, bis diese endlich zu verstehen beginnt, was Annie ihr erschließen kann. „Wasser“ wird das erste Wort sein, dessen Buchstaben sie nicht nur in Annies Hand nachzeichnen kann, sondern auch dem Begriff zuordnen kann. Eine neue Welt eröffnet sie ihr. Sie hat begonnen zu verstehen, zu erkennen und zu benennen.
Der Text von William Gibson fokussiert sich auf diese entscheidenden Wochen im Leben von Helen Keller, in denen sie auf Annie trifft und die Bedeutung des ersten Wortes erkennt. Regisseur Volker Hesse lässt die Darsteller auch mit körperbetontem stummen Szenen ihren Gefühlen Ausdruck verleihen. Südstaatenfeeling entsteht auf der Bühne des Ernst-Deutsch-Theaters mit maisgelben Felderlandschaften im Hintergrund und einer verschieb- und klappbaren Lamellenfensterfront, die vom Salon bis zum Gartenhaus alles vorstellen kann. Helen wird eindrucksvoll von Laia Sanmartin interpretiert, die ganz ohne Worte die Verzweiflung, Wut, Einsamkeit, Eifersucht, Gier, Freude und Zuneigung der in sich Verschlossenen auszudrücken vermag.
Birgit Schmalmack vom 9.5.12