Hanumanns Reise nach Lolland

Zur Kritik von

Spiegel-online 
Abendblatt 
 


Hanumans Reise nach Lolland



Botschaften des Ekels

Das Regieteam Tilit Ojasoo und Ene-Liis Semper des estnischen Theaters NO99 hat in Hamburg schon etliche Kostproben seines Könnens gegeben. Nun sind sie wieder mit einer neuen Arbeit am Thaliatheater vertreten. Den Roman von Andrej Iwanow „Hanumans Reise nach Lolland“ haben sie in Szene gesetzt. Doch dieses Mal sind sie in ihrem Wunsch, ihrem Publikum ihre Botschaften mit allen Sinnen zu vermitteln, übers Ziel hinausgeschossen.
Ein Container steht auf der Bühne. Doch seine Ausmaße überschreiten weit die Standardmaße, die Asylanten zur Verfügung stehen. Nur zwei Betten stehen auf der weiten Fläche. Hier vertrödeln Honey (Sebastian Rudolph) und Sid (Rafael Stachowiak) ihre Zeit mit Nichtstun, Kiffen, Pornos gucken und Träumen. Die beiden Flüchtlinge, einer aus Indien, der andere aus Russland, sind in einem dänischen Flüchtlingslager gestrandet. Der Traum von der amerikanischen Freiheit ist hier jäh in einem güllestinkenden Nichts gestrandet. Hier wird die Reise nach Lolland, ihrem dänischen Ibiza, zu ihrem vorläufigen Ersatztraum. Sie treffen auf andere Asylanten, die alle versuchen ihrem Wunsch von Glück und Reichtum näher zu kommen. Mal versuchen sie es mit Autorschiebereien, mal mit Verticken von abgelaufenen Supermarktwaren, mal mit Zuhälterei, mal mit Drogenverkauf. Doch sobald sie zu etwas Geld gekommen sind, geht es schnell wieder für Nutten und Drogen drauf. Sie kommen nicht vom Fleck, selbst Lolland liegt immer noch in unerreichbarer Ferne.
Wie absurd ihre Versuche sind, ihrem Traum näher zu kommen, macht das Regieteam mit immer drastischeren Mitteln klar. Die Kostümierungen der Dänen, der Schwarzen, der Russen, denen sie begegnen könnten nicht klischeebehafteter sein. Zentimeterdicke Schminke, Schaumstoff-Fettwülste, Schnurrbärte, alles stammt aus dem Boulevardtheater. Um die Distanz dazu anzuzeigen, nur eine Spur nachlässiger und unprofessioneller angewandt. Slapstick, Comedy, Musical – alle diese Stilmittel benutzt der Abend und wird damit zu einem Mix, der ohne Rücksicht auf Geschmacks- oder Ertragbarkeitsgrenzen Eindruck schinden will. Den Ekel überwinden indem man ihn frontal angeht, das war Honeys Ziel. Auch das Regieteam scheint die Erzeugung des Ekels als Ziel vorgeschwebt zu haben. Und zwar beim Zuschauer: Ob über die übelkeitserregenden Gerüche beim Kochen eines in Gewürzen ertränkten Hühnchens bei gleichzeitigen Versprühen eines Raumsprays, beim Ankokeln eines weißhäutigen Playmobilmädchens, damit es den Rassismus der dänischen Playmobil-Polizisten am eigenen Leibe erfahren darf, beim exzessiven Sex einer Schaumsstoffdänin mit einer Schuhcreme-Neger. Immer ist die gewollt provokative Überschreitung von Political-Correctness-Grenzen Programm. Das ist zu dick aufgetragen, um wirklich interessant zu sein. Auch die eigentlich tollen Schauspieler sind bei diesen Vorgaben nicht in Bestform. Schade um den spannenden Stoff, der leider gerade wieder höchst aktuell ist.
Birgit Schmalmack vom 23.12.13



Jedermann
Bye bye Hamburg

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