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Der zerbochne Krug, Schauspielhaus

Der zerbrochne Krug im Schauspielhaus © Matthias Horn

Der zerbochne Krug, Schauspielhaus
Endlich!

Nichts kann Dorfrichter Adam (Carlo Ljubek) verbergen. Alle seine Verletzungen, seine Schrammen und seine Wunden sind offensichtlich. Denn er ist nackt. Selbst als sein Vorgesetzter zur Inspektion seiner Arbeit überraschend vorbeikommt, gibt er seinen halbherzigen Versuch sich ein Kleidungsstück überzustreifen schnell auf. So muss für jeden, der sehen will, der Sachverhalt, der bald darauf zu verhandeln ist, klar sein. Doch Adam throhnt in seinem breiten Ledersessel und hält unverdrossen seinen Gerichtstag ab. Der Fall ist ein besonderer: Witwe Marthe (Anja Lais) beklagt vordergründig nur den Verlust eines Tonkruges an, doch eigentlich geht es ihr den Verlust der Ehre ihrer Tochter (Josefine Israel). Der Krug sei zersprungen als ein unbekannter Mann in der Kammer ihrer Tochter durch deren Verlobten (Paul Behren) überrascht worden sei.
Adam weiß, dass diese Anklage ihm gilt. Doch selbst in seinem angeschlagenen Zustand weiß er seine Stellung wie üblich auszunutzen: Er droht, schüchtert an, manipuliert wie gewohnt. Sein Vorgesetzter Walter (Markus John) glaubt zunächst noch nur einen der üblichen unfähigen Dorfrichter vor sich zu haben, dem auf die Sprünge geholfen werden müsse. Doch im Laufe der Vernehmungen kann auch er das Offensichtliche nicht mehr übersehen. Doch was nicht sein darf, das ist auch nicht. Adam braucht keine Verkleidung als Richter um sich vor der Strafverfolgung zu schützen, seine Stellung reicht ihm vollkommen. Er ist unangreifbar. Das System schützt ihn.
Selten hat ein Regisseur den Stoff von Kleist so analytisch inszeniert wie Michael Thalheimer am Schauspielhaus. Er hat in seiner Kernbohrungsregie das Stück aller seiner Klamaukverführungen entledigt und damit seinen wahren Inhalt freigelegt. Endlich konnte einmal ein "Zerbrochner Krug" in der Intelligenz und Schönheit seiner Sprache und Personenzeichnung in Reinheit genossen werden. Dank sei Thalheimer!
Das es gelingt, liegt auch an der Besetzung und der Bühne. Carlo Ljubek spielt den windigen und sich windenden Adam mit unnachahmlichen schleimigen, verschlagenen Wandlungsfähigkeit. Markus John gibt perfekt den vordergründigen Regelapostel. Christoph Luser lässt in seiner Unterwürfigkeit als Schreiber immer auch die Hoffnung auf den baldigen Platz im Sessel erahnen. Bühnenbildner Olaf Altmann lässt den Personen nur den Spielraum zweier schmaler Kästen, die in die Bühnenwand eingebaut sind. In dem Kasten, der für die Klagenden vorgesehen ist, kann man nicht aufrecht stehen. Alle müssen sich klein machen, wenn sie sprechen wollen. Der größere Kasten ist für das Richterpersonal vorgesehen. Nur der Schreiber Licht wechselt zwischen der Räumen. Alle übrigen verlassen ihren fest gefügten Platz in der Gesellschaft nicht.
Ein Highlight der bisherigen Saison!
Birgit Schmalmack vom 19.4.17