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Die bitteren Tränen der Petra v.Kant, Theaterfesti


Leben unter Glas

Ein Schaukasten ist auf die Bühne der K6 gebaut worden. Die Zuschauer sitzen an allen Seiten auf Bänken vor den Spiegelglasflächen, in denen sie sich zunächst nur selbst beobachten können. Doch dann geht das Licht im Glaskasten an und der Seelenstriptease der Insasssinnen beginnt.
Die Modeschöpferin Petra von Kant ist erfolgreich. Sie bestimmt mit ihrem Design, was diese und nächste Saison getragen wird. Sie ist gewohnt andere zu dirigieren. Ihre treue Sekretärin Marlene kommandiert sie nach Belieben herum. Ihre letzte Ehe ist an ihrem Erfolg zerbrochen. Sie arbeitet unter ständigem Zeitdruck. Ihre Kreativität muss auf Knopfdruck sprudeln. Der Erfolg, auf den sie hingearbeitet hat, lässt sie ein Leben auf klar abgezirkeltem Raum führen. Auf dem Boden des Glaskastens, in dem sie sich bewegt, sind hunderte von Glasflaschen in Reih und Glied über die ganze Fläche verteilt. Zwischen ihnen bewegt sich Petra sicher auf ihren Highheels ohne auch nur eine zu berühren. Jedenfalls zu Beginn des Abends. Doch Petra ist einsam. Als sie der hübschen Karin begegnet, lädt sie sie ein, für sie als Model zu arbeiten und bei ihr einzuziehen. Sie beginnt aus dem ungebildeten Mädchen ein Geschöpf nach ihrem Willen zu formen und nennt das Liebe. Als dieses Geschöpf dann aber einen eigenen Willen und eigene Bedürfnisse entwickelt, ist Petra am Boden zerstört. Der Inhalt der Flaschen wird geleert und immer weitere gehen im Streit zu Bruch. Rote Blutfäden laufen an den Körpern der beiden Frauen herunter. Petra leidet. Sie meinte zu lieben, wollte jedoch nur besitzen.
Martin Kusej hat mit Bibiana Beglau eine ideale Besetzung für die gebrochene Powerfrau gefunden. Sie spielt die vorgetäuschte Selbstsicherheit, die in jedem Moment in tiefe Verunsicherung kippen kann, mit treffsicherer Genauigkeit. Die bitteren Tränen, die Petra hier vergießen muss und bei einer weniger versierten Schauspielerin kitschig und klischeehaft wirken könnten, geraten hier zu einem vielschichtigen Spiel mit der Verzweiflung, der Macht, der Einsamkeit, der Unsicherheit, der Maskenhaftigkeit, des Egoismus und der Bedürftigkeit. Der Inhalt des Stoffes von Rainer Werner Fassbinder ist zwar schnell durchschaut, doch durch die strenge, konzentrierte und überhöhte Kunstform, die Kusej für seine Inszenierung wählt, wird daraus ein fesselnder und ästhetischer Genuss. Er stellt in seinem Schaukasten des Grauens in kurzen fokussierten Szenen die Befindlichkeiten der Personen aus, zum abschreckenden Beispiel für die Zuschauer, die er während der Blacks im Glaskasten selbstbespiegelnd auf sich selbst zurückwirft.
Birgit Schmalmack vom 4.10.18