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She legend, Kampnagel

She legend auf Kampnagel (c) Daniel Domölky .



Neue Heldinnen braucht das Land!?


Noch laufen sie sich warm, üben ihre Posen und probieren die besten Haltungen aus. Noch haben sie nicht die drei Treppenstufen erklommen, um sich selbst aufs Podest zu stellen. Doch dann setzen sie zum Sprung an und landen unterstützt von dem unsichtbaren Trampolin mit einem lauten Knall auf der strahlend weißen Plattform in der Mitte. Hier dürfen sie nun die Heldinnen sein, die sie immer schon einmal sein wollten. Inspiriert von den Figuren, die sie bisher von Comics, Filmen und Videogames vorgesetzt bekommen haben, versuchen sie nun ihre eigenen weiblichen Vorbilder zu kreieren.
Ihre Montur aus dicken Wattejacken und kurzen Sporthosen zu weißen Kniestrümpfen lässt sie wie eine Mischung aus schlagkräftigen Möchtegern-Draufgängerinnen und Girlies, aus Michelin-Männchen und Leichtgewichtsboxerinnen wirken. Doch sind sie bereit zu ganz großen Kampf? Sie nehmen Anlauf und werfen die Speere in die Ferne, um gleich darauf zu erkennen, dass die Folge von Kampf meist Zerstörung ist. Sogleich sinken sie jämmerlich zusammen, um Reue zu beteuern.
So changieren die Choreographinnen und Tänzerinnen Carolin Jüngst und Lisa Rykena in ihrer tänzerischen Untersuchung des Heldinnen-Mythos zwischen Bewunderung, Hinterfragung, Nachahmung, Neuinterpretation und Kritik hin und her.
Das über der Bühne schwebende glitzernde Rautenaltarbild soll ihnen dabei ihr Sinnbild, Wegweiser und Anbetungsobjekt zugleich sein. Es scheint ihnen sogar tiefere Stimmen zu verleihen. Nun können sie ihre Befehle und Kampfesrufe mit donnerndem Bass ausrufen. Doch so sehr sie sich auch bemühen; auf Dauer versinken sie im Morast der Heldinnenrolle, wie die schmatzenden Geräusche kund tun. Sie fallen zu Boden. Nur die herein laufenden, schlicht weißen Geschöpfe (Chor Klub Konsonanz), die sie leise summend umkreisen, können sie mit ihrem wohl tönenden Gesang wieder aufrichten.
Carolin Jüngst und Lisa Rykena arbeiten sich mit der gebotenen Selbstironie an den medial dargebotenen Frauenlegenden ab. Sie lassen sie geschickt auf der Kante zwischen Wunschdenken und Alptraum, zwischen Cyborg und menschlichen Wesen, zwischen männlich und weiblich balancieren, ohne sich festzulegen. Wie eine weibliche zeitgemäße Heldin aussehen sollte, das kann diese Performance nicht beantworten. Doch Jüngst und Rykena machen vom ersten Augenblick klar, dass das auch nie ihre Absicht war. Sie wollten kein feministischen Postulat auf die Bühne stellen sondern vielmehr die Spiel- und Denkräume humorvoll erweitern. Das ist ihnen gelungen.
Birgit Schmalmack vom 6.12.19