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James Tiptree Jr, Lichthof

James Tiptree Jr.s polysexuelle Aliens, Lichthof von Charlotte Pfeiffer

Wahrnehmungsschubladen

Tiptree ist eine Marmeladenmarke in den USA. Als Alice Sheldon nach einem Pseudonym für ihre Science Fiktion Geschichten suchte, fiel ihr Blick auf ein Glas davon. Sie setzte ein James davor und ein Junior dahinter und schon war sie zu einem männlichen Schriftsteller geworden. Waren zuvor ihre Manuskripte stets abgelehnt worden, so wurde sie jetzt innerhalb kurzer Zeit zu einer bekannten Größe im Bereich der Science Fiction Autoren.
So wie die Autorin das Pseudonym eines Mannes annahm und so für die Öffentlichkeit zu einem Mann wurde, so schlüpft die Schauspielerin und Regisseurin Charlotte Pfeiffer in die Rolle des männlichen Literaturexperten Boy H. Werner, um über Tiptree einen Vortrag zu halten. Er wird zu einer Liebeserklärung an die ungewöhnliche Frau. Und zu einer sinnlichen Entführung in die fremden Welten, die uns möglicherweise im Outer Space erwarten würden. Werner kann sich verlieren schon in den Titeln der Kurzgeschichten, die wie Gedichtzeilen anmuten.. "Love Is the Plan the Plan Is Death", "I’m Too Big But I Love to Play"
oder "And I Awoke and Found Me Here on the Cold Hill’s Side". Er will ergründen, warum Tiptree die Verknüpfung von Gewalt, Tod und Sex in jeder seiner Geschichten auftauchen lässt. Er hat sich tief in das Seelenleben der Alice Sheldon hineinbegeben. Eine Frau, die sich eventuell zu Frauen hingezogen fühlte und dennoch zweimal heiratete.
Die Zuschauer blicken so hinter die Fassaden. Was sieht man, wenn man in das bärtige Gesicht eines Dozenten blickt? Was erwartet man, wenn man den männlichen Namen eines Science Fiktion Autors auf dem Cover liest? Wie stark ist der Blick und Erwartungshaltung von uns allen geprägt? Der Abend wird zu einer faszinierenden Entdeckungsreise nicht nur in die Welt der Aliens, des Literaturbetriebs sondern auch in die der Wahrnehmungsprägung von uns allen. Zum Schluss liegen die Zuschauer auf den bereit gelegten Wolldecken und schauen in einen auf die Decke projizierten Sternenhimmel und sinnieren mit Werner, was jenseits unseres Schubladendenkens noch alles vorstellbar wäre.
Birgit Schmalmack vom 29.3.19