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Mitgefühl Fehlanzeige

Willkommen zu deiner Schicht! So werden die ZuschauerInnen einzeln begrüßt und an ihren neuen Arbeitsplatz geführt. Vor ihnen ein Bildschirm und ein Bedienerfeld, auf dem sich nur zwei Knöpfe befinden. Falls sie sich unausgelastet fühlen sollten, dürfen sie sich zwischendurch gestalterisch an dem kleinen Zen-Sandgärtchen betätigen.
Wie fühlt sich ein Clickworker der zukünftigen Arbeitswelt? Das wollte das Kollektiv OutOfTheBox, das an der Schnittstelle zwischen Mediendesign und Theater arbeitet, erlebbar machen. Pro Schicht dürfen zehn ZuschauerInnen an ihrer Performance teilnehmen und so eigene Erfahrungen machen. Ihr neuer Arbeitgeber will derweil möglichst viele Datensätze generieren. Dazu sollen die "Operator 0-10" mit ihrem A und B Knöpfen Rückmeldung zu der Performance des neuen Influencers "Max Empathy" geben, damit sich dieser demnächst als KI-Anwendung besser vermarkten lässt. Dazu müssen sie seine Gesichtsausdrücke bewerten, dem Scan seiner Herzfrequenz beiwohnen und sich in drei Settings einfühlen. Da geht es zunächst um ein Dorf, das sich gegen Wölfe verteidigen muss. Danach um eine Kindergeburtstagsfeier, zu der ein Androidmädchen eingeladen und von den anderen Kindern gemobbt wird. Und im letzten Setting um eine Menschenmenge, die sich die Hinrichtung des Mannes wünscht, der die Erwerbsarbeit abgeschafft hat.
Die Arbeit wird den "Operatoren" nicht leicht gemacht. Die Einfühlung in die geschilderten Situationen erscheint angesichts ihrer Absurdität kaum möglich, das Rankings des Mitleidfaktors eher willkürlich. So zeigt dieser Abend eher, wie wenig befriedigend und wie wenig aussagekräftig diese Form der Arbeit und demzufolge auch ihre Arbeitsleistung ist. Empathie ist das letzte, was angesichts dieser entfremdeten Tätigkeit zustande kommt. Da mag die Feel Good Managerin auch noch so viele Streicheleinheiten, Daumen hoch oder Schoko-Stückchen verteilen. Auch das Harken des Zen-Gärtchens kann nicht zur Entspannung beitragen. Nach dieser Schicht in dieser schönen neuen Arbeitswelt ist wohl jeder froh, wenn es raus aus den Arbeitspantoffeln und rein in die Winterstiefel geht.

Birgit Schmalmack vom 17.1.20