Der Tod und das Mädchen, Monsun

Der Tod und das Mädchen Foto: Marc C. Drews

Was verlieren wir, wenn wir ihn töten?

Wenn du entführst wirst, musst du laut schreien!, hatte man ihr immer gesagt. Doch als Paulina (Ines Nieri) von drei Männern mit vorgehaltener Pistole ins Auto gezerrt wurde, blieb sie still. Sie wurde in einen Keller geschleppt, in dem sie über Tage hinweg von mehreren Männern gefoltert und vergewaltigt wurde.
Als acht Jahre später ein Gast (Ulrich Allroggen) in das Haus kommt, das sie inzwischen mit ihrem Ehemann (Björn Ahrens) gemeinsam bewohnt, erkennt sie die Stimme sofort. Es ist die Stimme des Doktors, der die Oberaufsicht über ihre Folterung führte. Wenn er sich ihr widmete, legte er stets Schubert Quartett „Der Tod und das Mädchen“ ein. Gerade seine Rolle als vermeintlich kultivierter und eloquenter Good Guy erschütterte Paulinas Glauben an das durch Bildung zu festigende Gute im Menschen nachhaltig. Jetzt sieht sie endlich ihre Chance auf Genugtuung gekommen. Sie will ihm mit ihrem Mann, der Anwalt ist, den Prozess machen. Mit vorgehaltener Pistole will sie von ihm ein Geständnis erzwingen. Ansonsten wird sie ihn erschießen.
Ihr Ehemann ist er in einer Zwickmühle. Einerseits fühlt er sich als Anwalt, der jetzt sogar vom Präsidenten in eine Aufklärungskommission der faschistischen Verbrechen in der jüngsten Vergangenheit berufen wurde, dem Rechtstaat verpflichtet. Andererseits erkennt er die Not seiner Frau und will ihr bei der Verarbeitung ihrer Traumata helfen. Doch der Doktor beteuert seine Unschuld.
So greift er zu einer List: Er fordert Paulina auf, ihm zum ersten Mal detailliert alles über die an ihr vergangenen Verbrechen zu erzählen. Diese Informationen leitet er an den Doktor weiter, damit dieser ein passgenaues Geständnis verfassen kann. Dem fällt es nicht schwer, sie mit Details über sein allmähliches Abrutschen in eine verhängnisvolle Gemengelage aus Erregung, Verrohung und Lust an der Macht auszuschmücken.
Was verlieren wir, wenn wir ihn töten?, fragt sich Paulina, als ihr das vorgebliche Geständnis am Schluss vorliegt. Wird sie ihre innere Freiheit wieder finden, wenn sie einen Mord aus Rache begeht? Oder liegt ihre Chance auf einen Neubeginn eher im Erzählen, Gestehen und Vergeben?
Regisseurin Julia Leege lässt das Ende bewusst offen. Dank der hervorragenden Darsteller - besonders Ines Nieri sticht heraus - war es ein überaus interessanter Abend, der das kluge Stück von Ariel Dorfmann mit psychologisch genauem Blick inszenierte.
Birgit Schmalmack vom 8.5.15