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Abschied ist ein schweres Schaf, Polittbüro

Abschied im Polittbüro by Jo Jacobs



Zeit zum Abtreten??

35 Jahre auf der Bühne- eine gute Zeit zum Abtreten? Wann glaubt einem keiner mehr die revolutionäre Geste? So wie jetzt der SPD? Das fragen sich Herrchens Frauchen in ihrem neuen Programm "Abschied ist ein schweres Schaf". Um es vorweg u nehmen: Lisa Politt kanns immer noch. Der Auftritt gerät sogar glamouröser als bisher: Lisa Politt ist dieses Mal statt von einem Mann von drei Männern umrahmt. Nicht nur Gunter Schmidt begleitet sie am Klavier sondern auch Wanja Hasselmann am Schlagzeug und Jo Jacobs am Keyboard. Musikalisch sind so noch mehr Variationen in der gezielten Atmosphärensteuerung möglich.
So nutzt Herrchens Frauchen die Anregungen, die ihnen das Jahr 2019 bot, voll aus.
Politt fahndet nach den strukturellen Probleme in der der katholischen Kirche und im Umweltbundesamt. Sie erkennt die Verbindungen in der religiösen Form des Spätkapitalismus, der Abgashandel statt Ablasshandels anbietet. Wenn sich gestandene Politiker betreten die Leviten von einer 16-Jährigen lesen lassen müssen, scheint die Notlage groß zu sein.
Politt hat Angst, dass sich 2019 1933 wieder einschleicht, wenn der offiziell als Faschist anerkannte Höcke laut Gauland in der Mitte der AfD steht, die wiederum in einigen Bundesländern 25 Prozent der Wählerschaft auf sich ziehen kann.
Muss man sich fürchten, dass ihr die Ideen aus gehen, wenn sie für diesen Abend nur zwei Lieder selbst komponiert und alle anderen intelligent zusammengeklaut hat? Wohl kaum. So beobachtet Politt eine Wandlung des Rollenbilds der Frau und benutzt dazu geschickt den Song von Beyonce "Daddys Lesson", in der ein texanischer Vater seiner Tochter das Schießen beibringt, um die Familie zu schützen. Oder sie hält mit "Stripping Paper" von Elvis Costello die Zeit in der Hand, wenn sie die alten Schichten der Vergangenheit beim Tapetenabziehen zu Tage befördert.
In einer eigenen Komposition stimmt sie mit ihrem Männerchor einen ironischen Choral für die Heimat an: "Meiner Heimat verdanke ich mein Dasein."
Die Stimme frisch und wandlungsfähig wie immer, die Kommentare bissig wie zuvor, die revolutionäre Gese mit so viel Selbstironie unterfüttert, dass sie wieder glaubwürdig wirkt. Abnutzungserscheinungen mag man dieser Frau nicht attestieren. Zusammen mit drei Männern auf der Bühne wirkt sie gewappnet für die Zeit bis zum nächsten runden Jubiläum. Die Zeit zum Abtreten ist noch nicht gekommen.
Birgit Schmalmack vom 2.1.20