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Wer hat Angst vor Virginia Woolf

Wer hat Angst vor Virginia Woolf im Polittbüro (Foto von Jo Jacobs)


Wer fürchtet sich vor einem Leben ohne Illusionen?

Das alternde Akademiker-Ehepaar Martha und George zerfleischt sich in einem totalen Hass-Liebe-Krieg, der kein Erbarmen kennt. Es ist vom Leben auf dem wenig idyllischen Kleinstadtcampus so desillusioniert, dass es keine Rücksichten mehr kennt. Um den Kick zu erhöhen, hat es dabei gerne Zuschauer. So bittet es den Neu-Biologen am College nebst Ehefrau nach der obligatorischen Samstagabendparty beim Präsidenten noch zu einem nächtlichen Drink auf den heimischen Kriegsschauplatz. Da dieses partnerschaftliche Wort-Gemetzel nur mit viel Alkohol zu ertragen ist, erscheint die gut gefüllte Bar als das wichtigste Requisit. So bestraft Martha George für den Fehler sich in sie verliebt zu haben damit, dass sie ihn vor Publikum als Schlappschwanz, Null oder Loch in der Natur demütigt und sich in seinem Besein mit dem jungen „Deckhengst“ vergnügt. Doch George bleibt nicht untätig, er revanchiert sich so umfassend, dass sich seine Gattin am Ende des Tages ermattet neben ihn aufs Sofa legt. Sie sind quitt und können sich gemeinsam in die Kissen legen, um für den nächste Runde wieder zu Kräften zu kommen.
Die Show gehört Lisa Politt als rothaarige Hexe, die mit ihren schnarrenden Stimme gekonnt schnodderig ihrem Gegenüber ihre Wahrheiten an den Kopf schleudert. Sie ist die Idealbesetzung der Martha. Oliver Törner gibt den leicht zu unterschätzenden Trottel, der erst in der letzten Szene zum gut sitzenden Gegenschlag ausholt, mit Bravour. Ihre Spielpartner müssen mit wesentlich weniger Text auskommen. Tommaso Cacciapuoti ist der smarte, hoch ambitionierte Frischling auf dem Campus. Er will Karriere machen und ist deswegen zu allerhand Zugeständnissen bereit. Sekundenschnell wechselt sein sprechendes Gesicht von dem Impuls gegen die Zumutungen seiner Gastgeber aufzubegehren, seiner Selbstüberredung zum Stillhalten, der Freude über die eigene Jugendlichkeit zum Aufblitzen purer Ratlosigkeit. Sein lieb lächelndes Weibchen (Jantje Billker) hat die undankbarste Rolle: Sie muss meist nur niedlich kichern, Unmengen von Alkohol in sich hineinschütten und sie bald darauf wieder auf der Toilette von sich geben.
Regisseur Erik Schäffler hat dieses Lebensdrama von Edward Albee nun auf der kleinen Bühne des Polittbüros in Szene gesetzt. Ein Paradestück, das gerade einer Kabarettbühne gut ansteht, weil es in Sachen Wortwitz so viel zu bieten hat. Die vier Darsteller führen den Verstand so lange im Kreis spazieren, bis man sich vor gar nichts mehr fürchten muss, weil alles schon passiert ist. Sie entblößen dabei die menschlichen Abgründe erschreckend genau. Gerade im Wechsel zwischen lauten und ganz leisen Tönen offenbart sich die Qualität dieses Abends.
Birgit Schmalmack vom 14.9.12

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