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Kaltstart 2014

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Who the fu** is snowwhite?

Was ist Schönheit in diesem Land? fragen sich die neun Mädchen. Dazu verwandeln sie sich alle einmal in Schneewittchen. Immer eine andere von ihnen ist die von der bösen Stiefmutter beneidete Schöne. Deren tödliche Missgunst treibt sie in den Wald zu den sieben Zwergen. Dazu setzen sie sich einfach rote Clownnasen auf. Doch auch die besorgten Zwerge können nicht verhindern, dass Schneewittchen in den Glassarg wandert. Hier liegt sie nun, mit all den anderen Puppen, die die Zwerge so sorgsam gehütet haben. Kein Traumprinz auf einem Pferd, kein Barbie-Ken kann sie retten. Erst als die Männer weg sind, schlägt sie die Augen auf. Dieses Schneewittchen kann sich selbst helfen. Eigene Texte der Mädchen collagierte die Regisseurin Ingrid Noemi Stein vom Theater Lübeck zu einer selbstbewussten Auseinandersetzung mit Vorstellungen von Schönheit und Rollenbildern.

Quartett

Heiner Müller fordert heraus. Auch in seiner Bearbeitung der „Gefährlichen Liebschaften“. Dieser Herausforderung stellen sich die beiden Schauspielstudenten Johanna Dähler und Simon Labhart von der Hochschule der Künste Bern. Herausgekommen ist ein hochprofessionelles Spiel mit dem Text, das ihn ganz durchdringen will und dabei ihn und sich selbst konsequent hinterfragt. Diese Ehrlichkeit im Umgang mit sich, der Sprache und den Figuren erschafft eine Authentizität, die in dieser Intensität und Offenheit ungewöhnlich ist. Diese Schauspieler suchen einen Grad der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Inhalt, der sofort gefangen nimmt. Sie brechen die vierte Wand auf und beziehen das Publikum souverän in ihre Suche nach der Seele ein. Ist sie ein Muskel oder eine Schleimhaut? Bei keiner der möglichen Antworten gibt es Zustimmung. Also werden spontan ein C und ein D erfunden.
Das Machtspiel zwischen den ehemaligen Liebhabern Valmont und der Marquise wird zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen den Geschlechtern. Wer kann den anderen besser verletzen? Wer bekommt den anderen klein? Wer ist der bessere Spieler? Denn um das Spiel der Verführung, der Machtausübung und der Manipulation geht es hier. Dazu tauschen diese beiden auch die Geschlechterrollen. Dann schlüpft Simon in ein Kleid und Johanna stopft sich ihres in die Strumpfhose. Das Einfühlen wird hier so ernst genommen, dass sie aus ihren Rollen aussteigen, wenn sie Heiner Müllers Text nicht vertreten können. Ein toller Abschluss der Kaltstart-Pro-Sparte, der zeigt, zu welch neuen Perspektiven gerade junge Theatermacher in der Lage sind.
Birgit Schmalmack vom 7.6.14

Peepshow

Das Märchen vom Rotkäppchen steht am Anfang. Mit der Warnung vor den bösen Wolfsmännern wächst das kleine Mädchen auf. Mit digital verfremdeter Stimme wird es (Anna Möbus) selbst zum Wolf. Mit ebendieser Stimme sprechen auch die weiteren Männer, die ihr begegnet, zu ihr.
Dabei ist die junge Frau weit von einer klischierten Opferrolle entfernt. Im Gegenteil: Sie genießt es, mit der Macht über die Männer, die sie begehren, zu spielen. Gerne lässt sie sich auf erotische Abenteuer ein – ob nun mit Männern oder Frauen. Doch verharrt sie in der Rolle der Abwartenden, sie selbst wagt nie den ersten Schritt. Eine junge Frau, die sich keine Angst von den bösen Wölfen einreden lässt, Grenzerfahrungen sucht und dennoch althergebrachten Muster nicht in Frage stellt, so erscheint die Frau in der „Peepshow“.
Anna Möbus ist die junge schöne Frau im roten Kleid in der Regiearbeit von Dominik Schiefner. In ihrem Bühnenkasten stellt sie sich zur Schau, aber entblößt sich nie. Sie bleibt so rätselhaft wie selbstbewusst, unerschrocken und doch unbefriedigt. Der Text von Marie Brassard zeigt eine neue Frauengeneration, die sich jenseits von Emanzengehabe auf die schwierige Suche nach dem Raum für ihre eigenen Erfahrungen macht.



Tagebuch eines Wahnsinnigen

Der weiße Rahmen auf dem Boden macht es deutlich: Die Grenzen zur Erfaltung sind für den Angestellten Propistschin (Christoph Förster) sehr eng gesetzt. In dessen Linien ist ein weißer Kreis aus unbeschriebenen Blättern ausgestreut. Er ist ein kleiner Beamter, dem er schon zur Ehre gereicht, wenn er einmal in der Woche im Zimmer des Staatssekretärs sitzen und dessen Bleistifte anspitzen darf. Dessen schöne Tochter wird für ihn ewig unerreichbar bleiben.
Damit die Zuschauer mitfühlen können, wie schnell man unter diesen Bedingungen irre werden kann, lässt sie Regisseur David Czesienski eine gefühlte halbe Stunde zusehen, wie dieser kleine schwitzende Herr Mustermann mühsam die Blätter auf dem Boden in völlig sinnlose, kleine Stapel sortiert, die er am Schluss alle aufeinander wirft. Wirkte der brave Archivar und Stifteanspitzer zu Beginn noch ganz gesund, steigert er sich nach dieser Erfahrung der absoluten Sinnlosigkeit und tödlichen Langeweile in die Vorstellung hinein, er sei der neue König Spaniens. Einmal jemand sein, das ist sein verständlicher Traum, den er zu seiner erklärten Wirklichkeit macht. Die Inszenierung lebt von Försters schwitzenden, verschüchterten, eingeknickten Darstellung. Wenn er sich zum Schluss vom Publikum als vermeintlicher neuer König feiern lässt, erscheint sein Irrewerden an der Konformitätsgesellschaft nach der intensiven, anstrengenden Einfühlungsphase fast logisch.
Birgit Schmalmack vom 6.6.14

Percussion discussion

Bei den zehn jungen Frauen kann alles zum Rhythmusinstrument werden: ihre klackernden Westernstiefel, ihr individuelles Lachen, ihre Klangstäbe und –schüsseln, die Trommeln und ihre Sprache. Ihr Hauptinstrument bleibt aber ihr Körper. Witzige Einfälle prägen die K3-Youngster-Inszenierung unter Leitung von Friederike Lambert und Tobias Hertlein. So wenn sich zwei der Mädchen bestens verstehen, obwohl die eine holländisch und die andere türkisch redet. Oder wenn eine von ihnen zur Violinsinfonie ihren Körper zu einer Geige werden lässt, obwohl sie sich nicht von der Stelle bewegt. Eine Stunde voll mitreißender Spielfreude, bei der keinen Augenblick Langeweile aufkam.

Die Reise nach Petuschki

Ich bin so nüchtern, sagt Wenja (Daniel Sträßer) zum Schluss. Und das obwohl er ein passionierter Trinker ist, der am liebsten über die beste Art des portionierten Alkoholkonsums philosophiert. Völlig desillusioniert sitzt dann mit seiner ermatteten Gefährtin auf den zwei Campingstühlen. Dabei hatte er doch zu Beginn noch ein konkretes Ziel: Er wollte nach Petuschki reisen und endlich seine schöne Geliebte treffen. Natürlich kommt er doch nie an. Im Laufe seiner Reise steigt nicht nur sein Alkoholpegel sondern auch die Surrealität seiner Reisebekanntschaften, die alle von Jasna Fritzi Bauer gespielt werden. Doch nach Petuschki kommt niemand, erklärt sie ihm als Sphinx am Schluss. Petuschki wird immer ein Ort der unerfüllten Sehnsüchte bleiben.
Die Burgtheaterinszenierung von Regisseurin Felicitas Braun braucht wenig. Ein Overheadprojektor, einen Grill und viele, viele Flaschen. Während Bauer quirlig herumwirbelt und wie sie selbst sagt, hier das Theater symbolisiere, ist Wenja eigentlich schon gestorben. Er ertränkt seine unerfüllten Wünsche und Sehnsüchte in Alkohol. Das optimale Halten des Pegels scheint sein Lebensinhalt geworden zu sein. Sein Dauerrausch wirkt schon fast wie Nüchternheit. Insofern ist Brauns Darstellerführung sehr konsequent. Dennoch hat sie einen Nachteil: Auch die Zuschauer kann so viel leblose Distanz zu sich selbst wenig berühren. So machte sich auch bei ihnen eine Nüchternheit breit. Vielleicht hätte Braun die am Ende herumgereichte Flasche früher anbieten sollen?
Birgit Schmalmack vom 4.6.14

Brothers in Arms

Die Fronten sind klar voneinander abgegrenzt. Eine Metallwand steht zwischen den sechs Männern und zwischen den beiden Zuschauertribünen. In einfachen Jeans und weißen T-Shirts fehlen jede Zugehörigkeitskennzeichen. Die Männer fangen an zu sprechen und es wird klar: Die Metallwand zwischen ihnen symbolisiert die unüberwindliche Grenze zwischen Iran und Israel, die jeden Austausch verhindert. Auch zu westlichen Personen ist Iranern der Kontakt erschwert.
So musste die Regisseurin Ana Zirner Vorsichtsmaßnahmen ergreifen: Ihre Performamer arbeiten mit Pseudonym und ihre Gesprächspartner werden nie beim richtigen Namen genannt. Denn die sechs Schauspieler sind für ihr gemeinsames Projekt je zu dritt in die zwei Länder gereist und haben dort Interviews mit Soldaten geführt. Aus diesem Material hat Zirner mit ihrer Satellit Produktion ein erhellendes, politisches Theaterstück gemacht. Es beleuchtet die Konstruktion von Feindbildern, die den Aufbau von Armeen erst ermöglicht. Es hinterfragt Männlichkeitsideale, die für den „guten Soldaten“ gebraucht werden. Durch die deutschen Schauspieler kommt die Außenperspektive hinzu.
Zirner macht dies mit ihren tanzerfahrenen Darstellern auf eine sehr körperbetonte Weise. Da scheppert das Metall, da demonstrieren die Männer ihre Kraft mit Liegestützen, da klettern und springen sie aufeinander, da robben sie über den Boden. Männerbünde, Männerkonkurrenz, Männerhierarchien werden sichtbar, stets als Instrument der Staatsräson. Der bisherige Höhepunkt des Festivals!

Der Truthahn und Knochen und Essen und es gefiel uns

Nur die Füße sind sichtbar unterm Samtvorhang. Hin und her gehen sie. Bedeutung wird gesucht. Dann beginnen flüsternde Stimmen Sätze zu sprechen. Man versucht zu verstehen. Dann scheppert es gewaltig hinterm Vorhang. Ein Streit? Der Vorhang öffnet sich. Zwei Frauen zwischen Tellern auf dem Boden, neben einem funktionierenden Waschbecken. Mögliche Geschichtenanfänge werden gesprochen. Immer wieder scheint sich ein Bedeutungsfaden zu ergeben. Vermutungen werden angestellt, die sich schnell mit den nächsten Sätzen als Irrtum herausstellen.
Die surreale Dichterin Gertrude Stein ist eine Meisterin im Auslegen falscher Fährten. Regisseurin Carolin Müllner folgt ihr bei ihrer Inszenierung „Truthahn“ sehr konsequent. Er legt bedeutungsschwangere Requisiten aus, um doch zu zeigen, dass alles Verstehenwollen dieser Welt doch zwecklos ist. Dennoch scheinen die Damen auf der Bühne völlig zufrieden zu sein in ihrer eigenen Denkwelt, in der alles so geordnet scheint und doch für Außenstehende völlig sinnlos. Ein Spaß, der den Surrealismus völlig ernst nimmt.
Birgit Schmalmack vom 3.6.14







Kevin allein im Universum
Kevin sucht die Einsamkeit, jedenfalls jetzt im Moment. Nach einer Zeit der unaufhörlichen Aneinanderreihung von Events, Begegnungen, Kurzbeziehungen, Städten, Partys und Drogen sucht er die Stille. Nur er und sein Piano! Soweit seine Planung. Doch dann wird er von zwei Banditinnen überrascht, die ihn ausrauben wollen. Eigentlich. Doch die Beiden suchen eigentlich auch mehr als nur Geld: Sie suchen die Liebe. Davon sprechen die Drei dann eine Menge, doch eher als Postulat denn als Tatsache. Statt miteinander zu reden, schreiben sie sich lieber Briefe.
Regisseur Jan Koslowski kontrastiert die Reizüberflutung der drei Erlebnissüchtigen mit einer klaren schlichten Bühne. Vorne ein Piano, hinten eine Leinwand mit atmosphärischen Bildern aus einem Universum, in den Kevin dann doch nicht alleine ist. Um den Hauptdarsteller Kevin (beeindruckend: Max Hegewald) kreist die Aufführung. Sein Spiel zieht in den Bann. Er verkörpert das Lebensgefühl eines Suchenden auf Speed, der nie schläft und sich doch nichts mehr wünscht als die Ruhe. Dem Zuschauer kann sein Grundgefühl gut nachempfinden: Für einen kurzen Moment scheint der Verständnisfaden greifbar zu sein, bevor er sich im Knäuel der nächsten Ereignisse auf der Bühne wieder verliert.

Hamletmaschine
Ein Viereck ist auf der Bühne eingezäunt, das über und über mit Korkschnipseln bedeckt ist. In diese Sandkiste begeben sich zwei Hamlets und zwei Ophelias, letztere unschwer an ihren weißen Faltenröckchen zu erkennen. Spielerisch nähern sich die vier Schauspieler dem Text „Hamletmaschine“ von Heiner Müller. Für seine Komplexität und seine Bedeutungsschwere versuchen sie eine spielerische Entsprechung zu finden. Das bedeutet in der Inszenierung von Florian Hein auch schon mal, dass in der „Universität der Toten“ Kaninchen Wölfe jagen und Ophelia in der Sandkiste Unfälle und Explosionen mit Notfallwageneinsätzen nachspielt. Manchmal findet Hein aber auch konzentrierte, stimmige Bilder wie das Dreiergespann aus Hamlet, Ophelia und Autor, das gemeinsam zur Revolution aufruft. Heiner Müllers Texte leben von ihrer Andeutungsvielfalt. Diese Inszenierung vom bat hat versucht, sie um eigene zu bereichern. Das führt nicht immer zu einem tieferen Verständnis des Textes, sondern bleibt oft in distanzierten Anmerkungen zu ihm stecken.

Boys Ästhetik
Wie basteln sich heutige Jungs ihre Weltsicht zusammen? Die drei Fragezeichen, Niell Armstrong, Western Helden, Odysseus und Jurassic Park spielen anscheinend eine wichtige Rolle bei der Suche nach Identifikationsfiguren. Aber auch Zigaretten und Dosenbier. Mindestens zwanzig Verschlüsse werden von den Jungs aus Berlin auf der Bühne aufgeknackt. Immer auf dem richtigen Level sampeln sie sich an ihrem Mischpult ihre Welt zusammen. „Boys Ästhetik“ in der Regie von Flroian Hein ist eine musikalische Performance geworden, bei der ein Pas de deux mit einer ausgestorbenen Gelbbauchechse ebenso Platz hat wie ein alter A-Cappella-Sechziger-Hit. Moderne Jungs sind eben vielseitig, sie lieben Dosenbier, alte und neue Heldenfiguren, sich selbst und ein wenig Romantik.

Tschick
http://www.derwesten.de/kultur/tschick-und-sein-ziemlich-bester-thronkumpel-id8781119.html
http://www.ruhrnachrichten.de/leben-und-erleben/kultur-region/Im-Grillo-Theater-In-Tschick-treffen-Jugendliche-Ausbrecher-auf-schrullige-Typen;art1541,2223371

Einmal König im eigenen Leben sein. Davon träumen die beiden Jungs (toll: Jörg Malchow, Tobias Roth). Beide sind auf ihre Art vernachlässigt. Der eine lebt in einer Sozialbausiedlung und der andere in der Villa mit Pool. Trotzdem sind bei beiden Eltern, die sich kümmern, Fehlanzeige. Also beschließen sie in den Sommerferien mit einem geklauten Lada sie in die Walachei aufzubrechen. Dort kommen sie natürlich nie an, aber erklimmen trotzdem Berge – wenn auch aus Müll -, stehen vor Abgründen und begegnen dem einen Prozent der Menschheit, vor denen sie ihre Väter nicht gewarnt haben. In Samtanzüge gekleidet und mit Krönchen auf dem Kopf fliegen sie auf ihrem geflügelten Thronsessel in eine goldene Realität mitten im normalen Alltag. Sie erleben Sonnenuntergänge, das Wunder des Sternenhimmels und den Wahnsinn des Staunens und Entdecken. Sie lernen Vorurteile abzulegen und hinter die Kulissen zu blicken. Regisseurin Jana Milena Polasek hat aus dem Erfolgsroman von Wolfgang Hernndorf ein liebevolles Road-Movie gemacht, das neben Spannung und Unterhaltung auch die Muße für die leisen Töne auf den Punkt genau inszeniert hat.
Birgit Schmalmack vom 2.6.14




 

Tage eines Wahnsinnigen Foto von N. Klinger

Giselle

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