Casanova


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Kein Ausweichen möglich

Haben Sie keine Angst, lockt Casanova (Guido Lambrecht) geheimnisvoll mit teuflischem Fußstampfen und verführerischen Gesäusel die 18 Zuschauer auf die Treppe hinauf in ein rot-plüschiges niedriges Kabinett. Eine zentimeterdicke Puder-Maske, eine Zopfperücke, ein langer, weißer Pelzmantel über den tigergemusterten Hosen und durchsichtigem Hemdchen machen seine Absichten leicht durchschaubar. Mit intimen Geständnissen über seine lebenslange Gier nach Emotionen konfrontiert er die Zuschauer in der engen Gustav-Gründgens-Loge. Bei Lambrecht ist kein Ausweichen möglich. Immer wieder suchen seine flinken, braunen Augen den Blickkontakt mit den Zuschauer(innen). Selbst über die großen Spiegel nimmt Casanova sein nächstes mögliches Opfer ins Visier.

Unter der Regie der Regiestudentin Frederike Czeloth lässt er immer wieder die Stimmung kippen. Hat er gerade Bewunderung für eine geglückte, zartfühlende Eroberung als berüchtigter Frauenverführer erzeugt, wartet er mit einem Bekenntnis über seine abgründigen sexuellen Begierden auf, die auch vor Gewaltanwendung nicht zurück schrecken. Ein drastischer "Arschficker"-Rap begleitet seine leidvolle Abbitte. Seine persönliche Beziehung zum Stoff macht er mit unverhohlenem Stolz klar: Er sei schließlich als "Ensemblestecher" bekannt.

Da die Loge auch über ein angeschlossenes Badezimmer verfügt, wird einer der Liebesakte aus der Casanova-Biographie hinter die Glastür verlegt, so dass die angerichtete Schweinerei mit Wasser und Tuch schnell wieder beseitigt werden kann.

Nur ein Vollblut-Schauspieler wie Lambrecht kann die entstehenden unvermeidlichen Peinlichkeit in Sympathiepunkte für bewiesene Offenheit umwandeln. Er liebt, leidet, weint, freut sich mit ganzer Energie, so dass die Maske immer weiter von seinem Schweiß verwischt wird.

Als Casanova zum Schluss aus den engen Räumlichkeiten entschwindet und die Zuschauer folgen, bietet sich ihnen der Ausblick in den leeren Theatersaal, in dem der gealterte, gebrochene Ex-Lebemann herumgeistert und alle Türen weit aufreißt. Seine Suche nach dem nächsten Kick als Vertreter einer frühen Eventkultur kann er immer noch aufgeben.

Ein intimer, intensiver Abend, der durch seine Distanzlosigkeit gefangen nimmt und den Zuschauer zwangsläufig zum Voyeur werden lässt.

Birgit Schmalmack vom 8.10.04