Purgatorio/Paradiso


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Der Weg ist das Ziel

"Wo ist der Weg?", fragt Dante (Thomas Schmauser) seinen Führer Vergil (Dietmar König) auf seiner Reise durch die Urgründe der Welt. Der kontert: "Schläfst du oder siehst du?" Dantes Suche nach Erkenntnissen bringt ihn durch die Hölle, das Fegefeuer und in den Himmel. Nach der Inszenierung des ersten Teiles in der letzten Spielzeit zeigt Thomaz Pandur jetzt den zweiten und dritten Teil dieser Erkenntnistour im Thalia Theater.

Marina Hellmann hat erneut ein eindrucksvolles Bühnenbild für Dantes Reise geschaffen. Das Fegefeuer wird von ihr als eine Art symmetrischer Zwischenzustand zwischen Himmel und Hölle begriffen und bekam daher in einem sich öffnenden, metallenen Schlund eine verschiebbare Brücke, auf der sich die Engel und Büßer begegnen und über die Richtung ihres zukünftigen Weges klar werden können. Wie im ersten Teil befindet sich unter ihnen der Urgrund allen Seins: klares, aber schwarzes Wasser in einem noch größeren Bassin. In ihm dürfen sich die Sünder reinwaschen und Buße tun. Dante begibt sich gewohnt mitten unter sie, während Vergil sich auf seinen distanzierten Beobachterposten zurückzieht. Dante versucht alle Erfahrungen der Bewohner dieser Zwischenwelt zu teilen. Er ist immer auf der Suche nach Gefühlen, Erfahrungen, Erkenntnissen.

Gab es in "Inferno" nur einen Engel namens Balkan, so haben sie sich jetzt vervielfältigt und tragen viele verschiedene Namen: Licht, Luft, Wasser, Erde...Ihre esoterisch angehauchten Botschaften bestimmen den Ablauf der zweiten Teiles. Natürlich taucht auch die geheimnisvolle Beatrice (Fritzi Haberlandt) von Zeit zu Zeit auf, um ihrer Sehnsucht nach Dantes Liebe Ausdruck zu geben. Dazu bedient sie sich zum Teil neuzeitlicher Kommunikationsmittel: ein Telefon gehört bei Pandur zum Inventar des Fegefeuers.

Die Musik von Goran Bregovic hat die mystische Stimmung schon in "Inferno" auf magische Weise unterstützt. Auch im Reich der Melancholie schafft er mit seiner ganz eigenen Mischung aus volkstümlichen, klassischen und experimentellen Klängen den Hintergrund für Dantes Erkundungen.

Der Wunsch nach Weiterentwicklung und Stillung aller Sehnsüchte führt die beiden Verliebten Beatrice und Dante ins Paradies. Dort herrschen für Pandur allerdings wenig paradiesische Zustände. Bei ihm ist es ein Hotel Paradiso mit einer langen Tafel auf einem nun kalkig-weißen Meer, das zu einem Ort der Stille, des Stillstand und der Langeweile geworden ist. Noch immer voller Hoffnung sitzt Beatrice an der Tafel und träumt von einem romantischen Dinner for two. Doch es ähnelt eher einem Dinner for one, da ihr Geliebter nur noch in ihrer Vorstellung zu existieren scheint. In einer rührenden Szene schenkt Beatrice ihrem Dante Tee ein und verschüttet dabei alles, weil sie nur Augen für ihn hat. Doch der Angebetene schwankt leblos wie ein Mast in stürmischer See hin und her und bleibt dabei wie an einer Stelle festgenagelt. Da können Kellner im formvollendeten Frack durch das weiße Wasser waten, Gläser für eine noch zu erwartende, große Gesellschaft bringen, Wein(trauben) servieren und schließlich eine wunderschöne Glas/Wassermusik spielen - dieses Paradies bleibt ein Ort der Leblosigkeit und des Schweigens.

Wenn alle Wünsche des Menschen erfüllt sind, bleibt kein Raum mehr für Entwicklungen, das Leben. Dante hat im Paradies seine Neugier und seine Lebensenergie eingebüsst. Sein Weg wird immer die Bewegung, die Weiterentwicklung, der fortwährende Neubeginn sein müssen. Ankommen wird er nie.

Seine Lektion aus der zweiten Station seiner Reise glaubt Dante gelernt zu haben: Das Ziel seiner Reise ist stets in ihm selbst. Bei Pandur muss er dazu wieder neugeboren werden und nackt und bloß wie ein Säugling von der Decke herabhängen. Das stets herabregende Wasser wäscht ihn vom Blut der Geburt ab und färbt das weiße, leblos wirkende Wasser rot.

Inferno war durch eine gleichzeitige Überfülle von Bilder, Worte, Tönen und Bewegungen gekennzeichnet. Für "Purgatorio" und "Paradiso"hat Pandur diesmal kluger Weise die beiden Ansätze getrennt: Während der zweite Teil sich eher der gesprochenen Sprache und der Töne widmet, spricht der dritte fast ausschließlich in Bildern. Pandur kann sich auch hier ganz auf seine Schauspieler verlassen (neben der wunderbaren Haberlandt auch der fähige Felix Ströbel als Engel Balkan), die durch Bewegung, Gestik und Mimik alles ausdrücken, was er und seine Schwester Livia Pandur ihnen an Text gestrichen haben. So kommt es vor allen Dingen im rätselhafteren, den Erwartungen widersprechenden Paradies-Teil zu sehr eindrucksvollen, bildgewaltigen Szenen, die auch noch nach dem endgültigen Abblenden in Erinnerung bleiben.

Birgit Schmalmack vom 22.2.02