Der Boom ist überall

Der kommende Boom ist in aller Munde. Auch der Unternehmer Guido (Niels Bormann) plus Gattin Viv-Viv (Alexandra Schmid), der Politiker Scholten (Stefan Hufschmidt) und Anhänger Zerro (herausragend: Jörg Scheibe) möchten sich gerne zu den Gewinnern zählen. "Only be in a winning game" ist das Motto des Jungunternehmers. Noch scheint ihre Welt wohl in Schubladen sortiert. Zerro meint von sich, der Gutmensch zu sein. Er spürt die Verantwortung, von der der Politiker in seinen Sonntagsreden spricht. Die Gattin ergeht sich in Hingabe und Liebe. Und der dynamische Business-man strotzt vor Selbstbewusstsein. Das hält solange vor, bis er an seine verdrängten Schulden durch den Besuch einer alten Bekannten erinnert wird, die er mit einem Kind sitzen gelassen hat. Reich geworden kehrt sie zurück und fordert freundlich lächelnd Rache. Ganz die glamouröse Amerikanerin im Glitzerkleid und Cowboystiefeln erklärt sie den Möchtegernkapitalisten ohne Geld die Marktwirtschaft. Alles hätte seinen Preis. Ihrer ist klar: "I want his head!"

Sofort fangen die Versprechungen der uneingeschränkten Solidarität für Guido an zu bröckeln. Die vermeintlichen Freunde stehen nicht mehr vor Guido, sondern hinter ihm. Wem diese Geschichte nicht unbekannt vorkommt, ist in seiner Schulzeit vielleicht einmal dem Klassiker von Dürrenmatt "Der Besuch der alten Dame" begegnet. Die Berliner Gruppe Lubricat versucht mit "boombar" ihre Übertragung in die Jetztzeit. Kann es eine Moral in der heutigen Zeit noch geben? Dürrenmatt wollte mit seinem Text noch entlarven. Das erscheint heute altmodisch. Heutzutage ist die Güte eines Menschen höchstens anhand des Grades ihrer political correctness oder Spendenbereitschaft zu messen. Das "Gutmensch"-Etikett wird eher für Zeitgenossen gebraucht, die leicht ausnutzbar alten Idealen hinterherhinken. Falsch und richtig sind als Kategorien schon längst abgeschafft. Somit kann eine Übertragung, die diese illusionslose Zustandsbeschreibung mit einer Aneinanderreihung von Werbesprüchen und Politerfloskeln aufzeigen will, sich kaum vor der Banalität des Gezeigten retten. Politische Brisanz erhält die Produktion, die vor einem Jahr in der Zeit nach dem 11.September entstand, wenn die amerikanische Dame unumwunden verkündet: Wer nicht für mich, ist gegen mich. Die banalen Entwicklungen der Politik übertreffen manchmal noch die, die sich das Theater auszudenken vermag.

Birgit Schmalmack vom 28.10.02