Das Schattenreich des Unbewussten

Im Triest des 19. Jahrhunderts begibt sich ein aufgeschlossener Großbürger wohl als einer der Ersten zu einem Analytiker, um eine die sehr noch junge Psychoanalyse nach Freud für sich auszuprobieren. Ob ihn eher die Langeweile oder seine Probleme dazu veranlassen, bleibt offen. Italo Svevo hat in seinem Roman "La coscienza di Zeno" die Bekenntnisse des Zeno Cosini auf 600 Seiten ausgebreitet. Der Maler, Opern- und Theaterregisseur Wiiliam Kentrigde aus Südafrika hat seine Version von "Confessions of Zeno" jetzt auf Kampnagel zur Spielzeiteröffnung gezeigt.

Bei ihm gibt es drei Ebenen der Darstellung: Zum einen das Schattentheater der Handspring Puppet Company, die die filigranen Schattenfiguren von Kentrigde über die von ihm gezeichneten Endzeitlandschaften schreiten, hüpfen, wackeln und zittern lässt. Die zweite Ebene sind die Erzählungen von Zeno (Dawid Minnaar) selbst, die von Zeit zu Zeit in eine Spielszene übergehen. Und nicht zuletzt ist da die Ebene der Musik des Iren Kevin Volans, die von den vier Streichern des Sontonga Quartetts und den drei Opernsängern (Lwazi Ncube, Phumeza Matshikiza, Otto Maidi) interpretiert werden. Alle drei Ebenen sorgen für eine Flut von Eindrücken.

Minnaar versteht es seine Figur mit viel Selbstironie zu würzen, die sich selbst kaum ernst zu nehmen und stets im Probestadium zu leben scheint. Er ist großer Junge mit grauen Haaren, der sich weigert erwachsen zu werden. Und er kann es sich leisten, auf die Frage nach seinem Broterwerb zu antworten: "Ich führe Buch über Gutes und Schlechtes, über Getanes und Ungetanes." In letzterer Kategorie hat er viel vorzuweisen, weshalb sein Vater nicht besonders gut auf ihn zu sprechen ist. Er warf ihm stets seine Unentschlossenheit vor. Zeno bezieht diesen Vorwurf nicht etwa auf seinen Müßiggang sondern auf seine allzu wankelmütigen Willen, das Rauchen aufzugeben. Die Daten seiner nun wirklich allerletzten Zigaretten, die er an den Tapeten verewigte, veranlassten ihn schon einmal seine Wohnung zu wechseln, um nicht mehr das Grab seines Scheiterns vor Augen haben zu müssen.

So lässt Zeno seine tiefliegenden Vater-Neurosen und seine daraus folgenden Schwierigkeiten nicht zuletzt beim weiblichen Geschlecht Revue passieren. Diese sind bei seinem mager ausgeprägten Selbstbewusstsein vorprogrammiert. Verliebt in die schöne Ada muss er nach ihrer Zurückweisung mit der weniger hübschen Schwester Augusta vorlieb nehmen. Um seinen Schmerz zu verwinden, legt er sich die Geliebte Carla zu. Auf einem teilbaren Dreiersofa liefern sich die beiden Damen einen Sängerinnenwettstreit und scharwenzeln dabei auf ihren fahrbarem Sofateil um ihren Angebeten herum. Der verdrückt sich gemäß seiner tiefverwurzelten Anlage in seine Unentschlossenheit und überlässt die Entscheidung der Situation oder den Frauen. Am Schluss des Stückes beendet der Erste Weltkrieg seine gesicherte, großbürgerliche Welt.

In der Romanvorlage breitet Zeno seine Geschichte aus, um seinem Therapeuten genügend Stoff zur Analyse zu geben. Zu diesem Zweck erfindet er für ihn auch noch ein paar passende Träume. Diese sind wiederum der Stoff für Kentrigdes Bilderfantasien auf der weißen Leinwand, die die Bühne halbiert. Mit seinem Schattenreich aus Schriftzeichen, Strichen und Filmeinspielungen illustriert er die Träume von Zenos Unterbewusstsein. Hinter toben sich die Figuren aus Draht, Acryl, Pappe und Fäden aus. Da stolzieren diese Wesen zu den flirrenden, schrubbenden, zirpenden und weinenden Geigentönen, die halb Maschine und halb menschlicher Gestalt zu sein scheinen. Trichter, Türme, Kurbeln, Prothesen und Gelenke sind Bestandteile ihrer Körper, von denen oft auch nur ein durchscheinendes Skelett übrig geblieben ist. Als Verkörperung der Träume Zenos sind sie nur in Grauschattierungen gehalten.

Der markante Stil des Künstlers Kentrigde erschafft mit seiner eindrucksvollen Bilderflut eine besondere Sichtweise auf die Welt. Wer allerdings erwartet hat, dass Kentrigde - wie zuvor angedeutet - mit dieser Illustration der Apathie einer weißen Gesellschaftsschicht vor fast 100 Jahren auch die Stimmung der Weißen in Südafrika in den achtziger Jahre zu zeigen vermag, wird enttäuscht werden. Die unterschiedliche Hautfarbe und Äußerungsweise der drei farbigen Sänger und des sprechenden , weißen Hauptdarstellers bleiben wohl die einzigen Hinweise auf die möglichen, aktuellen Bezüge der Geschichte aus dem Europa des 19. Jahrhunderts.

Birgit Schmalmack vom 3.9.02