Nicht in den Mund


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Bröckelnde Fassaden

Ein interessanter Text, musikalisch-fließende Sprache, exzellente Schauspieler, eine aussagekräftige, Freiraum bietende Bühne und eine sensible, unprätentiöse Regie - so sollte ein gelungenes Theaterstück aussehen. Und genau das bekommt man in "Nicht in den Mund" im Thalia in der Gaußstraße zu sehen, das am Samstag Uraufführung und Premiere feierte.

Es geht um Tagesmütter, einen Unfall, Freundschaft, Lebensträume, Beziehungen, Schuld und Verantwortung. Nicht wenig Inhalt für ein Stück, das gerade einmal 70 Minuten dauert. Und doch schafft es der Text der jungen Autorin Simona Sabato mit dem Team des Thaliaensembles unter der Regie von Stephan Kimmig, alle diese Aspekte scheinbar anstrengungslos zusammenfließen zu lassen.

Der Bühnenraum von Katja Haß lässt viel Spielraum für die acht Schauspielerinnen, bei denen als einziger Mann Jörg Liechtenstein die Männerquote steigen lässt. Der leere Platz in der Mitte wird von Häuserwänden begrenzt, von denen der Putz abbröckelt. Auf ihm entstehen nacheinander ein Spielplatz, Hannes Wohnung und ein Supermarkt. An der Stirnseite befindet sich die Aufseherkabine des Supermarktleiters Mark (Liechtenstein), in der sich ein leidenschaftliches Zusammentreffen mit seiner Freundin Hanne (Leila Abdullah) abspielt.

Hanne ist eine Tagesmutter. Nach fünf Jahren der Arbeitslosigkeit passt sie auf das kleine Kind Adam ihrer Freundin Irene (Maren Eggert) auf. Mit den anderen Tagesmüttern trifft sie sich jeden Tag auf dem Spielplatz und wacht über das Spiel der anvertrauten Schützlinge. Doch eines Tages entgeht ihr über dem plapperden Gerede der Frauen über Grillen, Hausbau, Regelbeschwerden, Wechseljahre, Krebsverdacht, Frisuren, dass Adam sich beim Spielen dem See genähert hat. Wiederbelebungsversuche sind zwecklos.

Hanne sucht zunächst Trost bei ihrem jüngst aufgegabelten Liebhaber Supermark. Bevor sie Irene die niederschmetternde Nachricht beichten muss, schlitzt sie sich die Pulsadern auf. Während eines letzten, vielleicht ersten, intensiven Gespräches zwischen den beiden Frauen schläft sie ein.

Bedrückend intensiv wird dieses Stück durch die Sprache der Sabato. Mit Mut zu vielen Leerstellen und einer Art der Beiläufigkeit - egal ob es sich um lebensentscheidende oder nichtige Äußerungen handelt - lässt sie nie den Eindruck der Überladenheit aufkommen. Fast logisch zwangsläufig handeln die Personen. Mager bleiben ihre Auskünfte über ihre Beweggründe. Die Autorin greift viele Aspekte der abbröckelnden Lebensperspektiven von Frauen auf. Dabei scheint auch die Mutterrolle mit der grundsätzlichen Sinnstiftung überfordert zu sein. Träume von Erziehung, Verantwortung und Zusammenhalt haben in der kargen, trüben Welt dieser Frauen keinen Platz.

Birgit Schmalmack vom 3.3.02