Tropfen auf heiße Steine


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Rückzug ins Private

Die Personen in "Tropfen auf heiße Steine" ziehen sich ins Private zurück. Doch dort erwartet sie weder idyllische Beschaulichkeit noch die gemütliche Wärme der Familie sondern die kalte Künstlichkeit einer supermodernen Designerwohnung mit auswechselbarem, menschlichem Inventar. Die bunte, chaotische Wirklichkeit des Draußen scheint ausgeblendet in dieser schneefarbenen Sauberkeit. Nur das ständige Rauschen erinnert an den brausenden Autoverkehr vor den Panoramascheiben. Sogar der Haushund wirkt in seiner weißen Lautlosigkeit wie ein animiertes Ausstattungsstück.

Der stolze Wohnungsbesitzer und Kaufmann Haymon (Haymon Maria Buttinger) trifft im Solarium auf den jüngeren Mario (Mario Mentrup) mit den schönen Beinen und braunen Augen, der ihm so vorkommt, als würde er jetzt schon so leben, wie er es sich selbst erst erlauben wird, wenn er etwas erreicht hat. Er nimmt ihn mit nach Hause. Die Gelegenheit auf eine so sichtbar teure und schöne Wohnung und die neue Erfahrung einer Homo-Episode tauscht Mario bereitwillig gegen seine lang(drei-)jährige Bindung an seine Freundin Pascale (Pascale Schiller) ein. Als nach ein paar Wochen Haymons Verflossene Eva (Eva van Heyninger) wieder auftaucht und Pascale ihr Liebesangebot an Mario aktualisiert, hat sich die Banalität des Alltags schon längst in die Männerbeziehung eingeschlichen und sie ebenso fade gemacht wie die vorhergehenden mit den jeweiligen Frauen. So kommen die weiblichen Angebote beiden nicht ungelegen. Dass Marios Umtausch aber so wenig Enttäuschung bei Haymon hervorruft, stürzt ihn in die Verzweiflung. Des beliebigen, von jeder Illusion ausgehöhlten Lebens müde, tötet er sich. Ein weiterer Mord, mit dem Haymon sein Gewissen belastet. Wird er ihn auch einen Tag lang beschäftigen wie der Selbstmord eines seiner Geschäftspartner, den er ruiniert hat? Dieses Mal hat er für noch mehr Ablenkung gesorgt: Die beiden Solo-Frauen lotst er zu einem flotten Dreier in sein Schlafzimmer, den er sich als Abwechselung beim Erscheinen von Eva gleich gewünscht hatte - zu dem Zeitpunkt allerdings noch in anderer Besetzung. Aber Haymon beweist wieder einmal seine Flexibilität, die ihn sein Beruf gelehrt hat. Er passt sich den Gegebenheiten, die nun mal nicht zu ändern sind, kurzerhand an.

Diese Menschen zeigen eine Leere, Austauschbarkeit, Ziellosigkeit, Kälte und Ich-Bezogenheit, die nur für den Moment lebt. Visionen kann es in solchen Weltvorstellungen naturgemäß nicht geben. Schon Entwicklungen im privaten, kleinen Rahmen finden nicht statt. Stillstand und Langeweile in der einen Beziehung führen nicht zu Veränderungen sondern nur zum Austausch des Partners. Beziehungslos schweben diese Menschen in einer künstlichen Welt, die keine Hilfe, keine Wahrhaftigkeit, keine Kommunikation mehr kennt.

Das Theaterstück von Rainer Werner Fassbinder nahm die freie Theatergruppe norton.commander.productions (Harriet Maria und Peter Meining) zum Ausgangspunkt ihrer spannenden, überaus ästhetischen und ideenreichen Inszenierung. In einem runden, weißen Cyberbühnenbild vor ständig wechselndem Computergraphik-Hintergrund verbinden sie in durchdachter Konzeption Filmeinspielungen, Texteinblendungen und Musikeinlagen der Berliner Kultband "tarwater" mit ihrem suggestiven, futuristischen Sound zur Illustrierung dieses illusionslosen Lebensgefühls.

Als gelungener Auftakt zum Festival "Politik im freien Theater" machten sie Appetit auf mehr ebenso intelligentes, innovatives und spannungsreiches Theater.

Birgit Schmalmack vom 22.10.02