Kurz vor dem Vergessen


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Alleine mit den Geistern im Kopf

Ein Mann mauert sich ein, er hat genug von der ständigen Bilderflut, die auf ihn hernieder prasselt und will das Experiment des medialen Entzugs wagen. Er will sein Selbst finden, das er in der Nachrichtenschwemme verschüttet glaubt. Schaltet er den Input von draußen ab, melden sich die Erinnerungen in seinem Kopf. So spazieren in seine dunkelgrüne, abgeschottete Gruft hinter Glas die Geister seiner Frau, seiner Jugend, seiner Entwicklung, seines Älterwerdens herein.

In dem Projekt von Andreas Kriegenburg "Kurz vorm Vergessen" im Thalia in der Gaußstraße werden sie von den vier Schauspielern Judith Hofmann, Natali Seelig, Helmut Mooshammer und Jörg Pose gegeben, die in vielfältiger Verkleidung mit dem alten Mann und seinen Geschichten im Kopf ihr Spiel treiben. Viele neue Erkenntnisse, welche er vielleicht zum Teil lieber vergessen hätte, sind getreu der Psychoanalyse garantiert. Eine Familienaufstellung ganz radikaler Art wird hier betrieben.

Wie es sich für ein Projekt gehört, experimentiert Kriegenburg mit den Darstellungsmöglichkeiten. Seine fünf Schauspieler dürfen sich im Bewegungstanz üben und so ungewöhnliche, zum Teil sehr eindrucksvolle Bilder erschaffen. So erproben sie zum Beispiel das Fliegen in seinem grünen Aquarium: Bis auf die Unterwäsche entkleidet rutschen sie auf dem gewässerten Fußboden von einer Wand zur nächsten. In ihrer mickrigen Begrenzung ihres Raumes erschaffen sie sich eine Illusion von Freiheit und Weite. Ein anderer Höhepunkt ist die Geschichte, die Judith Hofmann erzählt: Als Mädchen kroch sie unter die Tapete, um die alten Zeitungen zu studieren. Seit sie nicht mehr herauskommt, beobachtet sie das Leben nur noch aus ihrer eingeschränkten Perspektive. Während sie ihre immer noch vorhandenen Träume schildert, wird sie von den anderen an der Fensterscheibe mit nassen Zeitungspapier festgeklebt. Wie ein eingemauertes Insekt ist sie für die Zuschauer durch das Glas zu beobachten. Jörg Pose glänzt in seiner Rolle als Werbefuzzi, der unter Auferbietung aller seiner Kräfte die Aufmerksamkeit nicht geschenkt sondern verkauft haben möchte. Dafür legt er sich flach, dafür macht er sich krumm, dafür bleibt er am Kunden kleben. Während seiner Ausführungen bebildert er diese Versprechungen mit fast artistischem Körpereinsatz.

Viele spannende Ideen zu einem Thema, das immer wieder gerne diskutiert wird. Ein Mosaik aus dem manche davon in Erinnerung bleiben werden und andere - ganz passend - bald wieder vergessen sein werden.

Birgit Schmalmack vom 12.3.04

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