Langsam hartgekochtes Weichei

Ein winselndes Politik-Business-Hündchen, das sich vom kläffenden Schoßhündchen zum harten, um sich beißenden Pittbull entwickelt, das ist Arturo Ui im Altonaer Theater. Ulrich Bähn spielt das Hitler-Pendant in Axel Schneiders Inszenierung des Brechtstückes als jammerndes weinerliches, schleimiges Weichei, das um Liebe und Anerkennung fleht und sich über die Ungerechtigkeit der Welt beklagt, als sie ihm für seine Mordtaten keinen Respekt zollen möchte. Er stellt seine Machtgier als reine Notwehr gegen die böse Gesellschaft dar, die ihm als Kind der Bronx keine andere Aufstiegsmöglichkeit lässt. Das ist eine Charakterisierung, die Brechts Ansatz der Figur ernst nimmt und zur durchgehenden Idee ausweitet.

Brechts historische Farce wird in diesem Spiel zur Realsatire. Das führt zu einigen komischen Momenten, die zu einer Farce gut passen würden, aber bei der realistischen Umsetzung eher lächerlich wirken. Wenn Clark (Tarek Youzbachi) ein Lied vor den Geschäftsleuten zu Ehren Uis singt und seine Mitstreiter in einen Chor mit einstimmen, ist das zwar textnah aber nicht unbedingt zur ernstnehmenden Interpretation geeignet. Wenn Ui das Gehen, Stehen und Reden vor Publikum übt und dabei die Hände nach Anweisung vor das Geschlechtsteil legt, reizt er das Publikum eher zu Lachsalven als zur nachdenklichen Teilnahme.

Die Schergen, die Ui umgeben, sind ebenso clean und businesslike geworden wie er. Ihre Macht ziehen sie aus ihrer Medienpräsenz. Ihre Waffen sind selten Kanonen, viel eher Kameras, die sie stets Zeugen ihrer Taten sein lassen. Mehrere Untergebene von Ui sind zu Zeiten der Gleichberechtigung bei Schneider weiblichen Geschlechts (die flippige, kichernde Marion Elskis und die konsequente, herbe Julia Weden) und bedienen sich scheinbar sanfterer Methoden der Unterdrückung. Da werden den Konkurrenten schon mal Süßigkeiten, Paillettentop oder nackte Haut als Überzeugungsmittel präsentiert.

In dem überzeugend schlichten Bühnenbild von Steffen Bock, das mit seinen verschiebbaren, weißen Vorhängen stets eine Projektionsfläche bietet, werden viele nette Ideen per Videoeinspielung mit Bezügen zum Haus und zur Stadt umgesetzt. Da fährt die Leiche eines missliebigen Zeugens im Aufzug des Theaters nach unten. Da ist das Gestühl des großen Saales der Versammlungsort der aufgebrachten Geschäftsleute Ciceros und Chikagos. Da wird die Figur des "Schauspielers", der Ui medienwirksame Haltung beibringen soll, mit Instruktionen von Wilhelm Wieben, Hermann Schreiber und Johannes B. Kerner eingespeilt.

Diese technisch kostspielige Produktion kommt wie häufig im Altonaer Theater mit wenig Schauspielern aus. Durch zahlreiche Doppelbesetzungen und Streichung etlicher Personen wurde eine Konzentration erreicht, welche den Schauspielern Wandlungsfähigkeit abverlangt und zum Teil einfachere Zeichnungen der Personen nötig macht.

Dass Schneider eine Idee verwendet, die am Berliner Ensemble schon in legendärer Weise von Heiner Müller umgesetzt wurde, bedeutet dass sie nahe zu liegen scheint. Doch während Marin Wuttke den Arturo Ui als gefährlichen Hund mit spannenden Momenten der Brechung und vielfältigen historischen und aktuellen Querbezügen gespielt hat, zeigt Bähn eine äußerst gradlinige, wirklichkeitsgetreue Darstellung eines fiesen, labilen, gewaltbereiten Mafiosis, der mit Hilfe der heutigen Medien effektive Machtpolitik betreiben darf.

Birgit Schmalmack vom 22.3.02