Effi Briest


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Wie soll man leben?

Wie soll man das Leben angehen, fragt sich Effi Briest. Jeder der sie umgebenden Erwachsenen bietet ihr unterschiedliche Richtlinien an. Ihre Mutter empfiehlt ihr die zielstrebige Karriere, was für sie als Frau die richtige Auswahl eines ehrgeizigen Ehemannes bedeutet. Der Kandidat ist schnell gefunden: Baron Instetten (Norman Hacker). Dieser steht für Ordnung und Prinzipien, die sein Leben bestimmen. Major Crampas, der Effi charmant umgarnt, dagegen legt ihr ein wenig Leichtsinn nahe, um schöner durchs Leben zu kommen.

Effis Sinn bestimmt vor allen Dingen ihre Neugier und ihr Lebenshunger. Doch auf Kessin gibt es für das jung verheiratete Mädchen nur eine verknöcherte Haushälterin und herumspukende Hausgeister. Langweilige Landbewohner bieten der jungen Frau als Gäste wenig Anregungen. Ihr Gemahl Instetten dient er seinem Lande in übergroßer Korrektheit und Konsequenz. Diese preußische Tugenden flößen der quirligen, lebenslustigen Effi Angst ein. Er ist ein Mann mit Grundsätze und ich habe keine, erkennt sie. In ihrer Langeweile und Liebessehnsüchte findet sie eine willkommene Zerstreuung in Major Crampas (Felix Knopp), der mit genügend Leichtsinn ausgestattet ist, um ihr eindeutige Avancen zu machen. Endlich wird Instetten nach Berlin befördert und der Fehltritt scheint aus dem Leben Effis gestrichen. Sie kann sich an der Karriere ihres Mannes erfreuen und ihr gesellschaftliches Leben in Berlin genießen. Doch dann findet er die vergilbten Liebesbriefe von Crampas. Obwohl er keine Gefühle der Rache und des Hasses verspürt, sieht er sich gezwungen, ihn zum Duell heraus zu fordern. "Weil es sein muss." Er muss Rücksicht auf das Ganze nehmen, auf das tyrannisierende Gesellschaftsetwas. Seine Konformität, die das Leben seines Konkurrenten, seiner Frau, seines Kindes und sein eigenes zerstört, wird von der Gesellschaft entsprechend belohnt: Er darf die Karriereleiter weiter aufsteigen. Das Gefühl der Freude hat er allerdings inzwischen schon verlernt, er funktioniert nur noch.

Jorinde Dröse hat mit der Bühnenfassung des Romanstoffes von Theodor Fontane die große Bühne des Thalia-Theaters erklommen. Mit einem versierten Ensemble erzählt sie die spannende Lebensgeschichte eines Mädchens im 19.Jahrhundert und schafft es doch, die Fragestellung an heutige Glückserwartungen zu übertragen. Paula Dombrowski ist diejenige, die in Verkörperung der Titelrolle die Inszenierung trägt. Sie fasziniert mit ihrer in jeder Sekunde schlüssigen Interpretation der lebenshungrigen Frau, die wie im Zeitraffer durch ihre Erfahrungen gezwungen ist zu reifen.

Birgit Schmalmack vom 14.10.05