Port


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Zwei gegen den Rest der Welt

Die Industriestadt Stockport in der Nähe von Manchester wird ihrem Namen ("port" = Hafen) nicht gerecht: Sie stellt für das Geschwisterpaar Racheal und Billy Keats weder einen sicheren Heimatort noch ein Tor zur Welt dar. Ihre familiäre Situation ist ein Abbild dieser Ödnis. Der Vater trinkt gerne, setzt dann brutal seinen Egoismus durch und die Mutter pöbelt zuerst zurück, versinkt dann in Resignation und verschwindet schließlich. So bildet das Bruder-Schwester-Gespann in all der Tristess den einzigen Halt.

"Scheiße" ist in dieser Atmosphäre das am häufigsten verwandte Wort um das Schweigen zu überbrücken. Racheal ist die einzige, die trotzdem immer wieder den Versuch zur Kommunikation wagt. Doch sie gerät meist an ein Gegenüber, das dieser Anstrengung bestenfalls durch Blödeleien oder ansonsten durch Pöbeleien aus dem Weg geht. So wächst der Wunsch wegzugehen aus Stockport. Sie will sich "qualifizieren" und das sicherlich nicht nur beruflich.

Bruder und Schwester können die Lebensfehler ihrer Eltern nicht abschütteln, sondern müssen einige von ihnen selbst durchleben, um sie vielleicht in Zukunft zu vermeiden zu können. Racheal heiratet einen Typen ,der die jüngere Ausgabe ihres Vaters (beide: Stephan Schad) sein könnte. Billy sucht seine Erfolge in Raubzügen durch die Geschäfte von Stockport und bekommt dafür Auszeiten im Gefängnis verordnet.

Ein schlichter Parkplatz, ein paar Autositze auf Rollen und eine große Leinwand (Bühne: Patrick Bannwart) bilden den Raum für die Inszenierung von David Bösch, dem Gewinner des letztjährigen Regiewettbewerbs der Körber Stiftung im Thalia in der Gaußstraße.

Er nähert sich dem Stoff von Simon Stephans mit viel Zeit für die Entwicklung der Charaktere. Man hätte ihn auch leicht in eine trashige Jugendtragödie verwandeln können. Doch Bösch verzichtete wohltuend auf allzu pubertäre Attribute, die den Blick auf die Lebens-Konflikte verstellen. So können die schauspielerischen Talente, das Hörbarmachen jedes Fragezeichens, jedes Kicherns, jedes Erschreckens, jedes Aufhorchens, jedes Schlucken-Müssens ausgekostet werden. Und das machen besonders die Hauptdarsteller brillant. Michael von Burg und Anna Blomeier sind eine Idealbesetzung für die Geschwister, die spielend jede Lebensphase vom Schulkind über den Jugendlichen bis hin zum Erwachsenen darstellen. Und Jörg Kleemann ist die perfekte Ergänzung als kurzfristiger, schüchterner Partner für Racheal, der Asthma-Anfälle bekommt, wenn er Liebeserklärungen machen möchte.

Bösch zeigt eine einfühlsame Studie von einem in der Not zusammen geschweißten Geschwistergespann und erlaubt mit einem Sonnenaufgang die leichte Hoffnung auf eine eventuelle, positive Zukunft für diese zwei Über-Lebenskämpfer.

Birgit Schmalmack vom 19.09.04