Furcht und Hoffnung in Deutschland


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Kritik
von
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Nur noch Versuchstiere der Wirtschaft

23 Jahre ist das Stück "Furcht und Hoffnung in Deutschland" von Franz Xaver Kroetz alt und wirkt doch so aktuell, als wenn er es direkt sld Beitrag zur neuen Prekäriats-Diskussion geschrieben hätte.

Willi Gernegroß ist in seiner kleinen Wohnung mit seiner kleinen Frau einer der Menschen, die Kroetz in seinen 15 Szenen beschreiben hat. Wie alle anderen hat auch er unter dem Verlust seines Arbeitsplatzes zu leiden. Seine Frau dagegen darf weiter aus dem Haus gehen, um für ihre Tätigkeit als Verkäuferin im Kaufhof den kargen Lohn nach Hause zu bringen. Willi ist dagegen zum Hausmann degradiert und kommt mit seiner neuen Rolle gar nicht zurecht. Genauso wenig wie die emanzipierte Ehefrau, die nun plötzlich vom Gehalt ihres Ehemannes leben muss, weil auch sie ihren Job verloren hat. Ihn dagegen schmerzt das gar nicht so stark: In seinem Mäusekostüm erklärt er stolz, dass er sich eigentlich freue, wenn das Essen schon auf dem Tisch stehe, wenn er von der Arbeit nach Hause käme. Außerdem gäbe es doch eine andere sinnvolle Aufgabe für seine Frau: Ein, zwei Kinder wären doch jetzt wunderbar. Eva hat an ihre neue Rolle arg zu knabbern. Sie müffelt mit ihren Mäusezähnen ins Mikrophon: "Ja, Hermann."

Besonders hart trifft es die Älteren unter den Paaren: Wenn der 56-Jährige seine Arbeit verliert, hat er auch 1983 schon keine Hoffnung mehr auf eine Neuanstellung und schmiedet andere Pläne um seine männliche Macherrolle nicht ganz zu verlieren: Vielleicht einen Heldentod als brennendes Mahnmal sterben?

Beklemmend sind die Geschichten, die Jorinde Dröse mit ihren wunderbaren, wandlungsfähigen Schauspielern im Thalia in der Gaußstraße erzählt. Vor einem nur die Realität abfotografierenden Dokustil rettet sie sich und das Publikum in die komödiantische Überzeichnung. So schafft sie einen Abend, der mitnimmt, amüsiert und aufrüttelt.

Birgit Schmalmack vom 23.10.06