Herzilein


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Drama der Volksmusik

Die personifizierte Banalität ist Trudl Semminger laut Aussage ihres gerade verstorbenen Ehemannes. Für ihn war nur noch die Frage zu klären, ob sie als Moderatorin einer TV-Volksmusiksendung die Ursache oder die Wirkung der Neo-Volksverhetzung sei. Diese "Vorbotin des Faschismus" nutzte ihre Lustige Dorfmusik als Mordwaffe gegen ihren intellektuellen, ständig stänkernden Ehemann, um ihn mit den jodelnden Kriegsfanfaren ins Grab zu bringen - genau wie wenig später ihre Mutter und ihren Sohn. Schließlich ist der Tod ein Meister aus Deutschland und die Marschmusik begleitete schon immer den Marsch der Menschen in den Tod.

Trudl stürzt sich gleich nach der Beerdigung in die 194. Ausgabe ihrer beliebten Sendung und lässt sich trösten von der Botschaft der herzigen Heimatmelodien. Denn die heile Welt der Musik ist unvergänglich, so wie die Wildecker Herzbuben nie sterben werden. Vorn lustige Dorfmusik und hinten schaufelt sie als trauriger Medienclown ihre Liebsten ins Grab. So verkrampft nur Trudls fröhliches Winken in die Fernsehkameras bei der Ankündigung des nächsten Interpreten kurz zum Hitlergruß.

Am Schluss träumt sie in ihrer Garderobe von einem schönen Familienbild in der "Frau mit Herz": Trudl im Kreise der drei Urnen mit ihren jüngst verstorbenen Liebsten. Und tröstet sich mit einem süßlichen "Alles wird wieder gut, Herzilein!"

Diese erste Regiearbeit von Ulrich Bähnk balanciert den Text von Heinz-Dieter Herbig sorgsam zwischen Satire und Ernst aus. Hannelore Droege lässt ihre Trudl Semminger nie zur Karikatur verkommen und versüßt dabei die bitterbösen Provokationen ihres Monologs, der die Volksmusik in eine Linie mit Neo-Faschismus, Nationalismus und gefühliger Dummheit setzt. Und so bleibt die Inszenierung geschickt und stringent dem Stil der thematisierten, alles beschönigenden Volksmusik treu.

Birgit Schmalmack vom 16.6.04