Täglich Brot


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Ich-Sager

Da kreisen die Menschen ständig um ihr kostbares Selbst, beschäftigen sich ausschließlich mit sich und suchen ihre Selbstverwirklichung nicht zuletzt in dem, mit dem sie die meiste Zeit ihres Lebens verbringen, in der Arbeit. Doch sie landen hier eher in einer Inszenierung eines Selbsts, um nicht ganz so offensichtlich werden zu lassen, dass sie eigentlich den Bezug zu diesem "Selbst" schon längst verloren haben, das sie einmal so dringend suchten. Sie stürzen sich - durch die gesellschaftlichen Anerkennungsmechanismen bestärkt - in die Karriere, beweisen Einsatz, Flexibilität, Engagement und finden sich am Abend und Wochenende ausgelaugt hängend vor der Glotze wieder. Konstatieren, dass Beziehungen höchstens zu Teamkollegen/innen zeitlich möglich sind, und sehnen sich plötzlich danach, dass sie jemand in ihrer Wohnung erwartet.

Der smarte Businessman Ulrich (Victor Calero), gestylt in betont lässiger Freizeitkleidung (Schlips und Kragen sind out in einem Berufsleben, das keine Freizeit mehr kennt) und schwarzer Intellektuellenbrille ist so richtig erfolgreich in seinem Beruf. Trotzdem hat er Albträume, dass sein Bildschirmschoner-Delfin seine Dateien über Nacht aufgefressen hat, und nimmt sich stets vor, nächstes Jahr etwas zu ändern: Vielleicht sollte er mal etwas Sport machen, aber nur ja nicht in einem Verein; das legt so fest. Sesam (Christian Heller), der sich gerade in einer Biografiekrise, einer Phase der Umorientierung befindet, gehört momentan zu dem Verein der Stubenhocker, da er seinen Job verloren und nun viel zu viel freie Zeit hat. Er versucht sich einzureden, dass dieses System Glück für jeden bereithält, der sich nur etwas anstrengt. Gala (Rosa Enskat), die hartgesottene Chefin, setzt zu Tagesbeginn ihr "Guten-Morgen-Gewinner-Gesicht" auf und nimmt sich vor, besser für das Wochenende vorzusorgen und schon während der Woche ein kleines soziales Date für den Samstag Abend zu arrangieren, damit ihre Kreditkarte nicht für die Leere der arbeitsfreien Zeit büßen muss. Ela (Thordis König), die Serviererin in einer Fast-Food-Kette, wagt dagegen die acht Stunden ihrer Schicht kaum zu zählen, damit sie nicht noch schleichender vorüber ziehen, und muss doch froh sein überhaupt einen Job bekommen zu haben. Nelke (Judica Albrecht), die ewige Praktikantin, kocht schon wieder irgendwo den Kaffee, sortiert die Ablage und muss ihr Nichtwissen so gut tarnen, dass sie diese Chance endlich zu dem längst fälligen Aufstieg nutzen kann.

Das sind die Gestalten, die Gesine Danckwart in ihrem Stück "Täglich Brot" messerscharf beobachtet und spitzzüngig in einem Textgewebe aufgespießt hat. Christiane Pohle fand eine geeignete, spannende Form, um die fünf Monologe für die Bühne umzusetzen. Sie setzte die Fünf nebeneinander auf Stühlen in einen bühnenfüllenden flachen Swimmingpool (Bühne: Corinne Rusch/Esther Bialas). So bekommen die Karrierebewussten nicht nur nasse Füße. Die unangenehme Kälte kriecht ihnen langsam die Kleidung hoch. Sie bleiben in ihren abgeteilten Reihen des Schwimmbeckens und versuchen als erste/r das imaginäre Ziel zu erreichen. Verbissen den Blick nach vorne gerichtet sind sie unfähig zu einer Kommunikationsaufnahme mit dem Anderen, obwohl dieser sich in der gleichen Lage befindet und sich ähnlich unwohl fühlen dürfte. Geschickt lässt Pohle so Platz für die möglichen Geschichten der Personen und stellt sie gleichzeitig in einen abstrakten Rahmen, der ihre eigentliche Wurzellosigkeit verdeutlicht.

Birgit Schmalmack vom 24.10.02

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