Bernada Albas Haus


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Als Jungfrau sterben

Ein weißer, kahler Raum, der hinter dem Bühnenrand zu einer zweiten Guckkastenbühne erhöht wurde. Fünf vergitterte kleine Fensterluken oben unter der Decke an seiner hinteren Wand. An ihren Verstrebungen hängen fünf schwarz gekleidete Frauen und winden sich mit ihren schwarz verschleierten Köpfen wie Marionetten an schwarzen Gummiseilen. Mit diesem eindrucksvollen Bild beginnt Andreas Kriegenburg die Erzählung von Frederico Gracia Lorca "Bernada Albas Haus" über die fünf von ihrer Mutter eingesperrten Töchter und findet noch viele weitere.

Die herrschsüchtige Mutter wacht über jeden ihrer Schritte, die sie nie jenseits der geschlossenen Mauern des Hauses führen dürfen. Angeblich aus Trauer um ihren verstorbenen Mann verordnet sie acht Jahre Trauerzeit: acht Jahre der Bewegungs- und Entwicklungslosigkeit. Doch ihre Beweggründe gehen weit über diesen Anlass hinaus: Sie will Veränderung ausschließen. Sie verlangt nach Ruhe und Schweigen. Sie verhindert alle Verbindungen, die ihre streng behüteten, jungfräulichen Töchter zur Männerwelt aufnehmen wollen. Will sie sie etwa vor der Schmach eines Ehefrauendaseins bewahren, wie es sich Tochter Magdalena (Sandra Flubacher) einreden möchte? Doch was verboten und zudem noch völlig unbekannt ist, übt zwangsläufig großen Reiz aus. Besonders die noch junge Adela (Claudia Renner) vergeht vor Sehnsucht nach dem Leben in Verkörperung eines Mannes. Als der schöne, junge Pepe el Romano um die Hand der 39-jährigen, ältesten Schwester, Alleinerbin und somit gute Partie Angustias (Victoria Trauttmansdorff) anhält, bekommt der Lebenshunger neue Nahrung und die unerfüllten Bedürfnisse kanalisieren sich in der Idealisierung dieses unsichtbaren Mannes. Die kluge, beobachtende Magd (Judith Hofmann) sieht frühzeitig das Drama auf die Familie zukommen. Doch ihre warnenden Hinweise für die Mutter, die nur beständig und verbissen auf ihrem Recht beharrt, prallen ab. Sie wehrt sich etwas anderes als die erwünschte Harmonie in ihrer konservierten Familie zu sehen und verschließt die Augen vor etwaigen Probleme oder Rivalitäten. Doch diese finden in dieser Mutter-Töchter-Konstellation reiche Nahrung: Die Abhängigkeit, das Aufeinander-Angewiesen-Sein ist zu groß, als dass sie die Zuneigungen nicht längst erdrückt hätten. Einmal hocken drei von ihnen auf einem einzigen Stuhl. Was zunächst wie ein Bild der Einheit und des Einverständnis wirkt, bricht auf, als die Jüngste sich herunterwinden will. Krampfhaft halten sie die Anderen auf ihrem Platz fest. Als eine von ihnen zu sehr ihren Wunschfantasien nachgeht und von der Mutter dafür angeprangert wird, zeigen sie sich als gelehrige Töchter und fesseln und schlagen sie mit den an den Gitterstäben festgeknoteten Bettlaken. Diejenigen, die unterdrückt werden, neigen eben häufig dazu, selbst zu unterdrücken. Das zeigt sich noch drastischer in der Szene vor der Pause: Als die Magd von den Tumulten im Dorf erzählt, bei denen eine schwangere Unverheiratete der Prozess gemacht werden soll, zeigen alle seltene Einträchtigkeit und schreien: Tötet sie! Tötet sie!

Kriegenburg hat das Drama mit unerwartet wenig Eingriffen so spielen lassen, wie Lorca es konzipiert hatte, und das Publikum hat es ihm mit begeisterten Applaus gedankt. Nach einem sehr einfallsreichen "Macbeth", der sich über große Strecken in weiter Entfernung zum Text hielt, erfreut er die Zuschauer jetzt mit einem weitgehend belassenen Text und stringenten Handlungsabläufen. Und mit einer spannenden Analyse der Psyche der Mutter und der einzelnen Töchter. Er widmet sich in großer Ruhe, mit viel Ausdauer und ungewohnter Ernsthaftigkeit den einzelnen Sichtweisen ihrer kleinen Welt und ihren Möglichkeiten ihr wohlmöglich zu entfliehen. Mit den hervorragenden Schauspielerinnen gelingt es Kriegenburg schon in den ersten Minuten, durch seine konzentrierten Bildern und choreographierten Bewegungsabläufe nicht nur Interesse zu wecken, sondern zu bewegen und anzurühren.

Nach der Pause befinden sie die Frauen in einer bläulich schimmernden Nacht, die mit diffusen, flirrenden Licht so ausgeleuchtet ist, dass alle Konturen vor den Augen verschwimmen. Hier geschieht das fast Zwangsläufige, aber dennoch schwer Fassbare: Nachdem die Mutter versucht hat den vermeintlichen Verursachers des Aufruhrs Pepe umzubringen und die eifersüchtige Schwester Martirio (Doreen Nixdorf) wider besseren Wissens den Erfolg vermeldet hat, begeht Adela Selbstmord. Endlich raffen sich die Schwestern zur Revolte auf. Bei Kriegenburg wenden sie das einzige Mittel an, das sie kennen gelernt haben: Gewalt. So werfen sie einen riesigen Tisch auf ihre Unterdrückerin und stampfen sie mit ihren Füßen zu Tode. Ein armseliger Sieg, der keineswegs Hoffnung auf die glücklichere Zukunft der verbliebenen Vier zulässt.

Birgit Schmalmack vom 14.04.03