Porträts 360 sek.


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Schultheater-Feeling

Banales, Skuriles, Interessantes, Alltägliches entdeckt Michael Laub in seinen "Portraits 360 Sek.", die er als Auftragsarbeit für das deutsche Schauspielhaus zusammenstellte. Auf der Suche nach der Grenze zwischen Wahrheit und Fantasie einer Person über sich selbst, begibt er sich in den persönlichen Erzählungen von 12 Schauspielhausmitarbeitern. Sehr stark unterscheidet sich deren Herausgehensweise: Die Selbstdarstellungen der Nicht-Profis fallen sehr persönlich, privat und meist mit erzählendem Charakter aus. Die Profi-Darsteller-Beiträge sind stilistisch vielfältiger, aber nicht immer ebenso auskunftsfreudig, da sie eher im künstlerisch Verschleiernden, vieldeutig Mysteriösen bleiben.

Die Schauspielerin Hilde Grübl macht dabei die große Ausnahme, indem sie von der Geschichte des Schauspielhauses erzählt und nebenbei die Gelegenheit nutzt viele Kostproben ihrer Rollen zu geben, unterstützt von etlichen Filmeinspielungen. Ebenso stellt sich der große Statist Frank Kienitz vor. Er hat allerdings weniger Sätze zum Besten zu geben. Willkommen heißt den Zuschauer wie sonst im großen Haus üblich vom souveränen Portier Albert Niehörster - nur diesmal auf der Bühne. Verabschiedet werden sie von der kessen Putzfrau Ursula Semmelhack, die zu ihrem romantischen Lieblingssong zum Abschluss die Bühne mit ihrem Feudel saubertanzt.

Zwischendurch tauchen auf: der Intendanzchauffeur Wolfgang Kremer, der es aushält, sich vier Minuten lang beim Weinen zu Sibelius-Musik zusehen zu lassen, Maja Schöne, die nach Schokoladeneinwurf kräftig abhottet, Mira Batuschek, die ihre Lieblingsklamotten zu einem scheußlich-komischen Hochzeitvideo präsentiert, Ben Daniel Jöhnck, der auf seinem Körper ein Schneckenwettrennen veranstaltet, Matthias Breitenbach, der anhand von heimischen Filmaufnahmen seine Schlafstörungen beweisen kann, Bernd Moss, der sich selbst als 65-jähriger bretonischer Hausfrau begegnet und nicht zuletzt Samuel Weiss, der auf höchst amüsante und selbstironische Weise aus Kritiken zu seinen bisherigen Bühnenrollen vorträgt.

Das Highlight ist aber die Darstellung von Wiebke Puls. Sie bleibt auch über diesen Abend hinaus in Erinnerung. Hier zeigt sich endlich eine ganz besondere Idee des Inhalts, der zu einer sehr schön verfremdeten Art der Umsetzung geführt hat. Hinter einer Wand sieht man Wiebke Puls im Schattenriss. Wie von Enthüllungs-Talkshows bekannt spricht sie mit verzerrter Stimme. So berichtet sie von ihrem enttäuschenden Großwerden. Jeder körperliche Makel schien auf sie gewartet zu haben: große Segelohren, schwarz verfärbter Zahn, keine Haare, große Körperlänge, Flachbrust. Doch mit siebzehn wurde alles anders: Nach vielen Hormongaben seitens der besorgten Eltern biss endlich ein Mann an und heiratete sie. Er nennt sie seitdem immer zärtlich "Monster". Von der künstlerischen Qualität einer Wiebke Puls hätte der Abend durchaus mehr vertragen können.

Die Umbauer sind selbstverständlich auf der Bühne stets sichtbar, auch wenn sie nicht zu Wort kommen. So musste der Malersaal zum ersten Mal einen Vorhang bekommen, damit er für ihre Aktivitäten immer wieder aufgezogen werden konnte.

Michael Laub nimmt das Risiko in Kauf, an einem Staatstheater Schulaufführungs -Feeling aufkommen zu lassen. So erlaubt er Blicke auf Einzelne, wo sonst eher das Gesamtergebnis aller Beteiligten im Vordergrund steht.

Birgit Schmalmack vom 9.7.02