Nebelmenschen

Wie ein Gespenst aus der Vergangenheit huscht Mary (Angela Schmid) nach langer Zeit im Sanatorium wieder durch die Räume des morschen, nie geliebten Sommerhauses ihres Ehemannes. Zunächst bemüht ihre Rolle als von der Morphiumsucht Geheilte und zurückgekehrtem Friedensengel in ihrer zerstrittenen Familie durchzuhalten, verfällt sie schnell immer wieder in die der Anklägerin und des schuldzuweisenden Opfers. Doch auch die anderen Familienmitglieder haben ihren Anteil an den unheilvollen Verstrickungen innerhalb dieser Schicksalsgemeinschaft, die sich nicht voneinander freimachen kann. So flüchten die beiden Söhne Edmund (Zlatko Maltar) und Jamie (Stephan Benson) nach dem Vorbild ihres Vaters (Walter Kreye) in den Alkohol. Als die Erkrankung des jüngeren Bruders Edmund an Schwindsucht bekannt wird, beginnt "Eines langen Tages Reise in die Nacht". Sie endet in vom Alkohol und Drogen an die Oberfläche gespülten Vorwürfen, Geständnissen und Selbstzerfleischungen.

Psychologisch fein seziert bringt Wolf Dietrich Sprenger den autobiographischen Stoff von Eugene O'Neill auf die Bühne des Ernst Deutsch Theaters. In dem realistischen Bühnenbild von Achim Römer führen die hervorragenden Darsteller die genauen, sekundenschnellen Umschwünge von vorgespielter Idylle zur Bankrotterklärung, von Liebesbekundungen zu Hasstiraden, von aufkeimender Hoffnung zur totalen Hoffnungslosigkeit, von Vernunft zu Anflügen von Wahnsinn vor. Kurz meinen diese Menschen im Nebel ihres Lebens eine Klarheit zu erkennen, dann ist sie schon wieder von ihren Unzulänglichkeiten verschluckt worden. Nie erlaubt Sprenger dem Zuschauer, diese Menschen einfach als verrückt zu erklären. Diese Familie zeigt zu viele ganz normale, nur um Harmonie bemühte und einfach eine erträumte Idylle konstituierende Verhaltensweisen, dass Ähnlichkeiten mit allzu gut bekannten Familienstrukturen unübersehbar sind. Auch wenn sich die Schicksalsschläge zum Glück nicht in diesem Maße in jeder ballen; diese Mischung aus moralisierenden Vorwürfe, sofort zurücknehmenden Entschuldigungen, Selbstbekenntnissen, Anschuldigungen und Selbstentschuldigungen kommen in jeder besseren Familie vor, die noch nicht auseinander gelaufen ist. Sprenger führt die Abhängigkeiten in diesem labilen, unkündbaren Gespinst aus vielfältigen Gefühlen spannend bis zum Schluss vor. Hier wird auf gutes, (alt-)bewährtes Theater gesetzt, das sich ganz der Geschichte widmet und bei dem sich der Ehrgeiz des Regisseurs ausschließlich auf die psychologisch genauen Studien der handelnden Personen bezieht.

Birgit Schmalmack vom 26.1.03

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