Der bittere Honig


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Ein Teufelskreis der Hassliebe

Julia Jentsch kostet den "Bitteren Honig" und darf als einzige das Gesicht verziehen.

Jo wird dieses Weihnachtsfest mal nicht alleine zubringen. Ihre Mutter geht zwar wie stets zu einem ihrer Liebhaber und kann ihre Tochter dort gar nicht gebrauchen, aber Jo ist nicht mehr auf ihre Mutter angewiesen. Fast achtzehnjährig hat sie jemanden gefunden, dem sie nicht egal ist: ihren schwarzen Matrosen. Aber in dem Moment, wo sie sich zum ersten Mal geliebt und aufgehoben fühlt, verfängt sich ihr Leben entgültig in der selben Spur wie das ihrer Mutter. Ihre ganze Kindheit und Jugend war davon gekennzeichnet, dass sie nach ein wenig Liebe dieser Frau gierte und sie gleichzeitig dafür verachtete, dass sie unfähig dazu war. Nun ist sie ebenso wie sie damals ungewollt schwanger geworden und fängt schon an das werdende Leben in sich zu hassen. Sie wird in den gleichen Teufelskreis von Abhängigkeit, Verpflichtung, Hass und Schuldgefühlen geraten wie ihre Mutter.

Peter Zadek verfolgt in seiner der Inszenierung im St. Pauli-Theater zwei Ansätze. Er misstraut der alleinigen Wirkung des tristen Sozialdramas von Shelagh Delaney und peppt es daher von Zeit zu Zeit mit Sozialromantik auf. Eva Mattes in grellroter Perücke und engen Glitzerfummeln und Uwe Böhm mit Augenklappe und Wiener Schmäh sorgen für heitere Momente der Auflockerung in dem bitteren Muter-Tochter-Überlebenskampf. Wenn die Rührung überhand nehmen könnte, trällern die Beiden ein Liedchen oder schwingen das Tanzbein zu den schmissigen Klängen des Barpianisten, dessen Biervorrat nie ausgeht.

Je weiter der Fokus des Textes sich nach der Pause von der Mutter auf die Tochter verschiebt, desto mehr entschwindet jede Hoffnung auf ein Entkommen in eine heitere alkoholgeschwängerte Traumwelt. Während die Mutter noch schimpfend, beißend, witzelnd, trinkend und schlagend darum kämpft den Kopf oben zu behalten, würde sich ihre Tochter am liebsten gleich im träge vor ihrer Absteige dahinfließenden, verdreckten Fluss ertränken. Sie erkennt klar das Zwangsläufige ihres Schicksals. Wer wüsste besser als sie die Bürde nachzufühlen, die sie ihrem Kind auferlegen wird.

Julia Jentsch ist eine wundervolle Jo. Sie scheint die einzige in dem Stück zu sein, die das Drama in seiner ganzen Schärfe ausspielen darf. Und sie kann es: Trotzig, verzweifelt, frotzelnd, aufbegehrend, einsam und liebeshungrig ist sie. Mit jedem ihrer noch so kleinen Sätze eröffnet sie Gefühlsabgründe.

Ein anerkannter Regiemeister wie Zadek braucht sich und den Zuschauer nichts mehr zu beweisen. Er darf sich ganz dem Spaß am Spiel mit der ganzen Klaviatur von Rührung, Ironie, Übertreibung, Dramatik und Kitsch ohne falsche Rücksichten hingeben. Und er tat es am St. Pauli-Theater ohne jede Hemmung.

Birgit Schmalmack vom 14.2.06