Die Welt zu Gast bei reichen Eltern


Kritik von
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Leben als Verdacht

Die heile Familie (Judith Hofmann, Jörg Pose, Felix Knopp, Katrin Wichmann und Anna Blomeier) sammelt die Trümmer ihrer pastellfarbenen Einbauküche ein, ohne mit einer der sorgsam getuschten Wimpern zu zucken. Auch keins der mit viel Haarspray ondulierten Haare gerät aus der Facon, während die Einbauzeile Stück für Stück demontiert wird.

Wenn auch die Eingangssequenz von "Die Welt zu Gast bei reichen Eltern" fast wie eine kleine Slapsticknummer anmutet, so lässt die nächste keinen Zweifel aufkommen: René Pollesch hat sein alt bekanntes Ziel, subversives Sprachtheater zu machen, nicht aus den Augen verloren.

Nachdem die fünf Sprachakteure in dieser Küchenzeilenarena Platz genommen haben, pfeffern sie sich die Sätze wie Gewehrslaven gegenseitig um die Ohren. Der Schlagabtausch findet diesmal in dem Ort des Rückzugs aus der harten ungerechten Welt des Kapitalismus statt: in der zu heiligen Höhen stilisierten Familie. Doch wenn sich die dreißigjährigen Kinder, ermattet von dem täglichen Kampf ums Überleben an den trauten Ort in den Mutterschoß zurückflüchten, fahren auch die von der Natur zum Automatismus der Aufopferung gezwungenen Eltern ihre Krallen aus, die der Kapitalismus selbst ihnen geschärft hat. Die Phantasie einer bedingungslosen Liebe haben sie sich schon lange abgeschminkt. Ausbeutung durch einen nur theoretisch freiwilligen Zusammenschluss, der stattdessen zu Abhängigkeiten und Zwängen führt, lehnen sie mittlerweile ab. Denn sie wissen: So ein Enthusiasmus führt zu langen Arbeitszeiten, die wohlmöglich nie entlohnt werden. Ein Vertrag, der automatisches Interesse konstruiert, würde schließlich erst demokratisch legitimiert, wenn die Position der Mutter durch eine Wahl besetzt werden würde.

Die bonbonfarbene, schicke Wohnung auf dem Drehteller im Thalia in der Gaußstraße dient zwischen den Rededuellphasen als Erkundungsraum der unterschiedlichen Familienaktivitäten, bis der nächste Schlagabtausch von der Musik angekündigt wird. Dann wird nach Kuscheleinheiten im weichen Familienbett, Verfolgungsjagden durch die verschiedenen Zimmer, gemeinsame Duschvergnügungen wieder mit harten Bandagen um die "Asozialität der Familie" gekämpft. Eine höchst vergnügliche, intellektuelle Philosophiedebatte, die zwar noch nicht an den Kultstatus der einstigen "www-slums" im Schauspielhaus heranreicht, aber auch deren Anhänger durchaus nicht enttäuscht.

Birgit Schmalmack vom 30.11.07