L'Amérique


[Image]www.hamburgtheater.de

Ratten und Eichhörnchen

Es gibt zwei Amerikas, wusste schon US-Senator William Fulbrigth. "Das eine ist großzügig und human, das andere engherzig und egoistisch. Das eine ist selbstkritisch, das andere selbstgerecht." Für das zweite will die "Propaganda-Operette "L'Amerique" Werbung machen.

Nicht Tauben und Falken entdeckte Jakob Holdt (Matthias Breitenbach) bei seinen Reisen durch das Amerika in den siebziger Jahren in seinen "American Pictures", sondern Ratten und Eichhörnchen. Nirgendwo hätte er größere Ratten und zärtlichere Eichhörnchen gefunden, als in dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Für diese wirbt Kafka in "Amerika"- und das schon vor dem Neuen Cinema auf dem Steindamm. Mit Megaphon werden mit seinen Worten alle eingeladen in das größte Theater der Welt, das jeden aufnimmt. Für diejenigen, die keine Theaterkarte mehr ergattern können, gibt es allerdings keinen Einlass in das ehemalige Kino, das dieses Mal wie eine düstere Höhle wirkt und zum Zusammenrücken einlädt bzw. nötigt. "Les Robespierre" fangen sofort an für die richtige Stimmungsmusik und für das entsprechende Wir-Gefühl zu sorgen. Musik soll bekanntlich verbinden und laute vielleicht sogar doppelt gut. Ihre subversiven Rocksongs hallen hervorragend in dem engen, mit zusätzlichen Wänden begrenzten und vereinigten Bühnen- und Zuschauerraum.

Ein amerikanisches Ehepaar, sie Immobilienmaklerin, er Naturjournalist, übernimmt die erzählerische Klammer in dem lockeren Assoziationskonzept von Angela Richter und Ted Gaier. Sie stellen mit Ausschnitten aus "Tortilla Curtain" von Thomas C. Boyle einige Aspekte der typischen amerikanischen Seele dar. So diskutieren sie ausgiebig über die dringend nötige Mauer, die ihr schönes Wohngebiet aus lauter wohlsituierten Einfamilienhäusern vor dem Ansturm von Flüchtlingen, Illegalen und Armen schützen soll. Sie erkennen messerscharf die Gefahr, dass genau dadurch die Offenheit und Toleranz, die ihr geliebtes Amerika eigentlich ausmachen sollte, an Glaubwürdigkeit einbüßen muss. Doch der Sättigungsgrad sei bereits überschritten. Die Steuerdollars sollen schließlich nicht für diejenigen ausgegeben werden, die nicht zum Kreis der mittlerweile Einheimischen im Land der Einwanderer gehören.

Dieser momentan etwas angekratzte Traum eines Landes der absoluten Freiheit und Demokratie, den das titelgebende Lied von Joe Dassin "L'Amerique" besingt, wird genüsslich und mit liebevollem Blick hinterfragt. "Yellow submarine" von den Beatles wird dazu mal eben umgedichtet in "We all live in a terrorist regime". Und Jakob erkennt, dass er die Freiheit immer als eine des Ja-Sagens verstanden hätte und sich damit die Türen aller Amerikaner geöffnet hätte. Eine kleiner Schnelldurchlauf der amerikanischen Geschichte deutet die Waffenliebe der eingewanderten Amerikaner als Konsequenz aus ihrer ewigen Angst und Sucht nach Sicherheit. Das Vorbild aus Michael Moore "Bowling for Columbine" ist unverkennbar. Wehmütige Erinnerungen an frühe Begegnungen mit Amerika werden wach: GIs werden ebenso wie die Demos in Mutlangen und eine Rock'n-Roll-Hochzeit in Las Vegas aus dem Gedächtnis hervorgeholt.

Angela Richter und Ted Gaier scheuen sich nicht vor kritischen Anmerkungen zu jetzigen Rolle Amerikas in der Weltordnungspolitik. Doch sie schaffen es mit Leichtigkeit, die Balance zwischen der Kritik und der Darstellung des amerikanischen Traums, der schließlich gerade in Europa ausgiebig geträumt wurde und wird, zu halten.

Birgit Schmalmack vom 19.03.03