Wollen ist Müssen oder Müssen ist Wollen

Die sechs Karrieristen auf der Bühne des Thalia in der Gaußstraße bahnen sich ihren Weg zwischen den weißen, sterilen Wänden, die sie voneinander separieren und gleichzeitig ihren erreichten Status des Aufstiegs symbolisieren. Selbst wenn es zu intimerem Kontakt zwischen ihnen kommt, bleiben sie in ihrer Karriere-Gangway. Selbst das Ehepaar aus Schönheitschirurg (Hartmut Schories) und Fernsehmoderatorin (Sylvia Schwarz) ist durch die Wände voneinander abgeschirmt, da die auf alterlos Gestylte selbst die Essgeräusche und das Zeitungsblättern ihres Gemahls schon unerträglich findet. Er betrachtet sie nur unter dem Aspekt seiner erfolgreichen Entgegenwirkungen der Materialermüdungserscheinungen ihrer Haut.

Für Beziehungen haben diese Egomanen auf der aufreibenden Suche nach dem ständigen Erfolg keine Energie mehr übrig. Der Ex-Spitzensportler (Stephan Schad) ist seiner Erfolge beraubt Angstzuständen ausgeliefert und am Boden zerstört. Demzufolge muss er ist der niedersten Abteilung verharren, bis er in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ausreisen darf und den Mut zur Eroberung einer schicken Yuppiefrau (Sandra Flubacher) im sexy Kostümchen findet. Sein Selbstwertgefühl erfährt solange eine Steigerung, wie es ihr Terminplan ihm gestattet. Nach 25 Minuten wird er abserviert, da ihr eigentlich schon die Möglichkeiten zu einer sexuellen Begegnung ausreichen würde. Ein Date jagt für sie idealer Weise das andere und für die nötigen Wartezeiten muss eine Pausenfüllung vorrätig gehalten werden, weil sie keine Mußezeiten mehr aushalten kann - zur Not auch eine kurze, praktische Bestätigung ihrer sexueller Attraktivität.

Seine Bahnen auf dem vorgezeichneten Erfolgsweg will auch ein ehemals gefragter Journalist (Harald Baumgartner) finden. Hinter den Stolperfallen, die ihn daran hindern, vermutet er zunächst missgünstige Kollegen, doch dann kommt er sich selbst auf die Schliche und entdeckt, dass er sie selbst eingebaut hat. Sein Wille endlich zu den Nichtrauchern zu gehören, hat sein mühsam gehaltenes Gleichgewicht aus viel Arbeit und kleinen Raucherruhepausen durch einander gebracht. Er vergisst sein Flugticket und landet schließlich auf dem Hauptbahnhof zwischen all den langsamen Loosern dieser Gesellschaft, die keine Hetze zu den nächsten karriereträchtigen Dates nötig haben.

Die vermeintliche Aufsteigerin seines Redaktionsbüros (Nadja Petri) hat den Schlüssel zum Erfolg gefunden: Sie hat erkannt, dass die Gesellschaft ein Spiegel ein; wenn sie ihr lächelnd gegenübertritt, bekommt sie nur strahlende Gesichter und Freundlichkeit zurück. Im Laufe ihres Weges muss sie allerdings erkennen, dass sie mit psychologisch-esotherischen Erkenntnissen alleine keine durchsetzungsfähigeVorgesetzte darstellen kann, die ihre Macht ausspielen darf.

John von Düffel hat in seinem ersten Theaterstück "Elite I.1" eine feine Sezierung der karrieregeilen Egozentriker vorgelegt. Immer auf der anstrengenden Suche nach sich selbst spüren sie sich nur im kurzfristigen Glück des Erfolgs, das heißt der Unterlegenheit eines ausgestochenen Konkurrenten. Immer brauchen sie einen Spiegel der Gesellschaft, der ihnen ihre Richtigkeit bescheinigt. Alle Kraft muss zur Überwindung ihrer tiefen Unsicherheit verbraucht werden. Alt, krank oder langsam zu werden ist ihre Schreckensvision, die ihre endgültige Aussortierung aus der Erfolgselite zur Folge hätte.

Unter der Regie von Mark Zurmühle ist sehr konzentrierter, ineinander verwobener Textextrakt aus den von John von Düffel sauber formulierten Monologen der Sechs geworden. Die Vielfalt der erzählten Geschichten auf der streng aufgeteilten Bühne (Eleonore Bircher) erschließt sich wohlmöglich erst nach dem Ausblenden des kalten Neonlichtes.

Birgit Schmalmack vom 19.5.02