Amphitryon


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Identitätskonflikte

Die Bühne ist völlig schwarz, selbst mit Licht wird gespart bei Jürgen Gosch' Version von "Amphitryon". Nur ein Mobile mit strahlendweißer Pappwolke und angeleuchtetem Papierhaus hängt von der Decke und zeigt das labile Gleichgewicht der Welt, in der nichts als feststehend ausgemacht werden kann. Der Bote Sosias mit schwarzen Shorts und ebensolcher Strickmütze dreht seine unermüdlichen Runden. Dem beredten Laufen von Samuel Finzi ist es zu verdanken, dass sich die leicht einstellenden Anflüge von Langeweile nicht ausbreiten. Denn sein Weg für seinen Herrn Amphitryon nach Theben ist lang. Er soll dessen Gemahlin Alkmene (Christiane Poelnitz) die freudige Botschaft überbringen, dass die entscheidende Schlacht erfolgreich verlaufen ist. Finzi sorgt auch im weiteren Verlauf der kargen Inszenierung von Stefan Gosch für wohltuende Abwechselung in den Schwarz-Weiß-Konturen. Wenn er am Palast angekommen auf Merkur in Gestalt eines Dieners mit seinem Namen trifft, der behauptet der eigentliche Sosias zu sein, spielt er seine Verunsicherung mit unnachahmlicher Vielfalt und Eindringlichkeit. Seine kleinen Pausen und Betonungswechsel machen selbst seinen Satz "Ich bin ich" zu einer spannungsreichen und bedeutungsvollen Aussage. Seine Gesten und seine Körperhaltungen können seinen Worten einen besondere Note verleihen, was die nicht immer eingängige Jambenform der Kleistschen Verse verständlicher macht.

Christiane von Poelnitz steht ihm in ihrem Spiel in nichts nach. Sie hat soeben eine wilde, leidenschaftliche Liebesnacht mit dem unerkannten Gott Jupiter (Oliver Masucci) in Gestalt ihres Gatten verbracht. Als Amphitryon (Devid Striesow) kurz darauf selbst vor ihrer Tür auftaucht, ist ihre Irritation vielleicht noch größer als die von Sosias. Von Poelnitz' Interpretation fügt dem Stück den Aspekt der echten, tiefgründigen Verzweiflung hinzu. Diese Bereicherungen kann der sonst so schlichte Abend auch gut vertragen. Er lebt in seiner Konzentration auf die Schauspieler allein von deren Ausdruckskraft. So wird es immer nur dann interessant, wenn die Darsteller mehr als an der Oberfläche ihres Textes kratzen dürfen. Das geschieht leider nicht durchgängig. So kann Gosch die philosophische Bedeutungsebene, die Kleist im Kopf hatte, leider nur ansatzweise ausloten. Er liefert eher eine unaufwändige leichte Verwechslungs-Tragikomödie, bei der dieses Mal eben nicht der neue Arbeitskollege oder die neue Tennispartnerin, sondern der Gott Jupiter höchstpersönlich den Seitensprung auslöst.

Birgit Schmalmack von 11.10.02