Warten auf Godot


www.hamburgtheater.de

Selten unterhaltsame Wartezeit

Das Schauspielhaus Bochum war auf Gastspiel im Thalia Theater. Vor restlos ausverkauften Haus spielten sich Wladimir (Michael Maertens) und Estragon (Ernst Stötzner) als komisch-traurige Clowns um ihren Verstand. "Der Mensch wird eh als Verrückter geboren, es ist nur fraglich, ob er es auch im seinem weiteren Leben bleibt." Doch diese beiden Freunde, die aneinander hängen, sich aber am Ende jedes Tages miteinander fragen, ob sie sich nicht besser trennen sollten, haben längst aufgehört einen Sinn in dem ganzen Gerede und Getue auf der Erde zu suchen. Sie haben nur ein Ziel im Verlauf ihrer endlosen Tage: Sie warten auf einen nie erscheinenden Godot, den keiner von ihnen richtig kennt und von dem auch keine Versprechungen oder genaueren Vorhaben außer "Mal sehen" bekannt sind. Und doch treffen sich die beiden traurigen Gestalten jeden Tag wieder unter dem kahlen Strauch, der mal ein Baum werden wollte, auf der wackeligen schiefen Ebene vor dem schwarzen Hintergrund. Eingebettet wird diesesr surreale Anblick in einen goldenen Bilderrahmen, der die Figuren in Bestandteile eines Bildes im Stile Margerittes verwandelt. (Bühne: Karl Ernst Herrmann)

Doch dann sorgen Pozzo (Fritz Schediwy) und sein Diener Lucky (Harald Schmidt) für eine Abwechselung zum Zeit Vertreiben. Am Hundehalsband führt der zufällige Herr seinen zufälligen Untergebenen herein und kommandiert ihn herum. Gebeugt steht er da mit Sandkoffern und ist stets zu Diensten. Er kann auf Befehl Kunststückchen vollbringen: Tanzen, Singen oder sogar Denken. Letzteres besteht aus einer Aneinanderreihung von wissenschaftlich anmutenden Worthülsen gespickt mit leeren Redefloskeln. Das macht Harald Schmidt mit langer, grauer Mähne eindrucksvoll und ist kaum zu stoppen. Erst als ihm der Denkerhut vom Kopfe gerissen wird, hört er mit seiner Wiederholungsschleife endlich auf und seine drei Zuhörer sind erlöst. Vom Denken haben sie endgültig genug.

Der zweite Auftritt des Zweiergespanns nach der Pause auf dem Warteplatz mit Strauch plus mittlerweile einem Hoffnungsblatt ist schon weitaus weniger lustig. Gerade noch der arrogante Herr, ist Pozzo jetzt blind und liegt am Boden wie ein umgestürztes Insekt. Sein Leibeigener Lucky ist inzwischen stumm und somit zu keiner Vorführung mehr zu gebrauchen.

Diese beiden Unglücks-Pärchen führen eindrücklich vor, wie beliebig das Leben ist. Wenn der eine aufhört zu weinen, fängt der nächste an. Wenn einer aufhört zu lachen, fängt der nächste an. Wenn einer aufhört zu leben, fängt der nächste an. Unbedeutend für den Weltenlauf sind die kleine und großen Wünsche und Kümmernisse des Menschen. Ob er seine Zeit mit albernem Geplapper, sinnlosen Machtspielchen oder großem Karrieregerenne verbringt, dient nur dem individuellen Wohlbefinden beim Zeitvertreib. Die Welt schaukelt derweil ungerührt von dem Gewimmel der Menschenkrabbler vor sich hin. Vielleicht befindet sich die wirkliche Welt auch erst unter der wackelnden Scheibe. Das angedeutete Halbrund auf der Bühne unter dem schmalen Spielraum der Schauspieler könnte eventuell der eigentliche Bestimmungsort zum Leben sein. Doch auch dies scheint für Gogo und Didi egal zu sein. Sie versprechen sich an jedem Abend aufs Neue: Morgen denken wir bestimmt an einen festen Strick. Dass das Bäumchen viel zu schmächtig für Selbstmordaktionen ist, gibt ihnen einen Vorwand um weiter auf Godot zu warten. Wo sie schon nichts anderes vorhaben...

Matthias Hartmann hat mit seinen beiden Hauptdarstellern eine guten Fang gemacht, um die unterhaltsame Ebene dieses tief pessimistischen Stücks zur Geltung zu bringen. Er nutzt das komödiantische Element besonders von Michael Mertens aus, um die Zuschauer am Ende zu Beifallsstürmen hinzureißen. Die werbewirksame Anziehungskraft eines Harald Schmidts tat ihr Übriges, um ein sonst sehr langsames, die Langeweile des Lebens in aller Breite spürbar machendes in ein sehr unterhaltendes, clowneskes Stück zu verwandeln, bei dem die Gründe zum Lachen nie lange auf sich warten ließen. Den beiden Hauptdarstellern ist es aber ebenfalls zu verdanken, dass es auch besinnliche, getragene, nachdenkliche, wenn auch kurze Momente des Innehaltens gab.

Birgit Schmalmack vom 19.5.02