Liliom
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Bei der Premiere von Lilom zum Enddefilé der Beteiligten soll eine junge Zuschauerin gefragt haben:"Wer von denen ist der Autor?" Eine zeitgemäße Inszenierung des fast 100 Jahre alten Volksstücks Liliom von Franz Molnar, ist das überhaupt möglich? Thalheimer zeigt am Thalia Theater, wie es geht. Er streicht circa die Hälfte des Textes auf einen Themenschwerpunkt - Sprachlosigkeit in der Beziehung - zusammen. Weggelassen hat er die Aspekte des sozialen Milieus, der Arbeitslosigkeit, des volkstümlichen Lokalkolorits. Von der Jahrmarktsszenerie ist nur noch der sich auf der Bühne drehende riesige Holzkubus übrig geblieben, auf den zu Technomusik eine Bilderflut aus farbigen Piktogrammen projeziert wird. Sie symbolisiert wohl zugleich die grelle Illuminierung des Vergnügungsgeschäftes wie auch die schnell wechselnden Sinneseindrücke unserer heutigen Zeit.
Thalheimer traut sich, nur wenige Stilmittel zu verwenden. Er verlangt seinen Dartstellern ab, weitgehendst auf die Sprache der Wörter zu verzichten und ihren Körper reden zu lassen. Dass dieses Konzept aufgeht, hat er den brillianten Schauspielern zu verdanken. Wenn Fritzi Haberlandt als Julie in ihren Stretchpullover immer neue Knoten dreht und an ihrem so wenig schützenden Minirock herumzupft, braucht sie ihrer nur mühsam aufrechterhaltenen Selbstbeherrrschung nicht mehr mit Worten Ausdruck zu geben. Wenn Alexandra Henkel (ihre Freundin Marie) in ihrer gekrümmten Flitzebogen-Körperhaltung in festem Schuhwerk über die Bühne stapft, so zeigt sie ihren festen Willen, die Welt so zu sehen, wie sie sie haben will. Wenn Peter Kurth (Liliom) mit Kopf und Armen zuckende Rapp-Verrenkungen vollführt, erkennt man seine Hilflosigkeit, sich selbst zu verstehen und anderen verständlich mitzuteilen. Wenn er mit den Armen herumschlaggert, trifft er dabei hauptsächlich sich selbst, aber eben auch die Menschen, die ihm dabei zu nahe gekommen, wie eben Julie.
Gibt es hier ein klares Opfer/Täter-Schema? Fritzi Haberlandt spielt die Julie nicht als Opfer. Selbstbewusst und standfest stellt sie sich Lilom. "Mir tut nichts weh!" Sie kennt ihre eigene Stärke, nimmt es mit Liliom auf, der nur köperliche Stärke kennt. Peter Kurth zeigt Liliom nicht als schuftigen Täter, der seine Stärke selbstbewusst auslebt. Im Gegenteil: Er lebt seine Schwäche aus, die er durch Herumschlagen zu verbergen sucht. Julie hält dem bewusst stand. "Es muss auch solche geben." Marie und ihr Verlobter Wolf (Benjamin Utzerat) setzen ihre inszenierte, plappernde Idylle gegen dieses sprachlose, gewalttätige Unglück von Julie und Liliom.
Dies ist eine Inszenierung mit dem Mut zur Beschränkung und zur
Klarheit. Dieser Mut hat sich ausgezahlt. Wer hier Unanständigheit findet,
hat selbst noch keinen Mut gefunden, vor der Sprachlosigkeit,
Oberflächlichkeit und Sexualisierung in unserer Umwelt die Augen aufzumachen
und will wie Marie und Wolf nur die Idylle sehen.
Kritik von Birgit Schmalmack vom 28.01.01