Die Beißfrequenz der Kettenhunde


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von
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Auslöschung bei Nichterfolg

Vischer ("mit V") sähe sich gerne auf Victory gepolt. Doch er (gewohnt versiert: Peter Jordan) ist am Ende. Nach Bangladesch hat er sich zurückgezogen, um in der beschaulichen Hitze eines Bordells mit Hilfe einer schönen Bengalin seine Wunden zu lecken. Dort spürt ihn der drahtige, agile Geschäftsmann Klaase (großartig: Werner Wölbern), ein alter Freund von Vischers verstorbenen Vater, auf und bietet ihm eine neue Chance zum Erreichen der Siegerpose: Klaases Unterwäscheunternehmen in Deutschland soll auf die Höhe der neuen Geschäftszeit gebracht werden. Frische Ideen erwartet er von dem jungen Mann, in dem er seinen Sohn sieht, der ihn als Vater dreier Töchter nicht vergönnt war. Zunächst scheint es so, als wenn Vischer Erfolg hat. Eine Menge schicker PCs werden angeschafft, viel Kontakt mit der Presse gepflegt, ein paar Umstrukturierungen und Einsparmaßnahmen durch Entlassungen (bzw. "Ent-Einstellungen") werden vorgenommen. Doch dann wird klar: Vischer hat außer leere Phrasen, die er von in den Medien stets präsenten Vorzeige-Managern kritiklos übernommen hat, nichts zu bieten. Der Markt-Instinkt, der Klaase erfolgreich werden ließ, ("Ich entscheide aus dem Bauch heraus") fehlt ihm. Als Klaase sich von ihm trennen muss und seine lang gediente Assistentin Frau Stein (exzellent: Maren Eggert) auf seinem Posten hievt, fällt Vischer ins Bodenlose. Wenn er jetzt die Löschtaste für sein Ich finden würde, würde er sie am liebsten drücken. Auslöschung ohne jede peinliche, seinen Misserfolg entlarvende Spuren wäre ihm am liebsten. In einer Gesellschaft, in der die Leistung und der Erfolg die Messlatte des Wertes eines Menschen geworden ist, ist er nutzlos geworden und damit zum Auslöschen frei gegeben.

Andreas Marber legt in seinem Stück "Die Beißfrequenz der Kettenhunde" schmerzhaft die Wunden eines enthemmten Kapitalismus bloß. Wenn nur noch die kurzfristige Aktiennotierung zählt, wird der einzelne zu einem austauschbaren Posten in der Bilanz. Marber speist viel bekanntes Wirtschaftsgesäusel in seinen Text ein. Dank des grandios agierenden Ensembles illustrieren die zum Teil sehr abgegriffenen Bonmots eine distanzierte Ironie, der dem Text zu Tiefgang verhilft.

Regisseur Stephan Kimmig lässt die Schauspieler zunächst fast statisch ihre Selbstdarstellungsmonologe aufsagen. Dialoge entstehen selten. "Ich glaube, Sie brauchen mich zu unserer Unterhaltung eigentlich nicht", bemerkt Frau Stein einmal treffsicher zu Herrn Vischer. Erst als dessen Erfolgkurve sich unaufhaltsam dem Absturz zuneigt, erlaubt sich Kimmig den bissigen Witz von Marbers Text noch zu steigern. So lässt er Vischer, während dieser zum Schluss seine Auslöschung akribisch plant, öltriefend in Bodybilder-Posen seine letzte Selbstmörder-Show spielen.

Das Premierenpublikum zeigte sich begeistert von dem Abend, der sein Bedürfnis nach wortgewandter Unterhaltung und gesellschaftskritischen Untertönen gleichermaßen befriedigte.

Birgit Schmalmack vom 8.10.07