Schieß doch Kaufhaus!


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Also denke ich vieles statt eines und tue nichts

Die Menschen der heutigen Welt können vieles statt weniges machen und sich nicht entscheiden, welche der Möglichkeiten die beste oder zumindest die unbedenklichste ist. In diesem Dilemma stehen die fünf jungen Leute, die Martin Heckmanns in seinem Stück "Schieß doch Kaufhaus!" treffend beschreibt. Sie stehen für eine Generation der globalisierten Staatsbürger des Nirgendwo. Eine Heimat gilt als überholt und sogar suspekt. Man ist heute international und multikulturell. Heimat ist schließlich, wie man weiß, der Grund allen Übels. Sie sind geprägt durch einen selbstverständlichen Wohlstand. Schade nur, dass sie nicht ignorieren können, dass ihr schickes Esprit-Shirt, das sie für ihr stimmiges Outfit benötigen für einen Hungerlohn in China gefertigt wurde.

Unter der sensiblen Regie von Simone Blattner schufen die fünf hervorragenden Darsteller (Ute Baggeröhr, Tjadke Biallowons, Barbara Wuster, Andreas Nicki, Hagen von der Lieth) eine wunderbare Umsetzung der Sprachbilder Heckmanns in Theaterbilder. Das schlichte Bühnenbild aus einem neonbeleuchteten Holzpodest schafft eine Auftrittsfläche für diese modernen Kämpfer für das Recht der Welt und natürlich auch für ihr eigenes. Sie verstehen es den Zuschauer in den Sprachsog des Textes hineinzuziehen, der der Sprache analysierend, entlarvend, parodierend auf den Grund geht. Folgerichtig führt Blattner Heckmanns Zerfleddern von Worthülsen so weit, bis nur noch einzelne Buchstaben übrig bleiben. Da diese Generation mit einer bestimmten Musik/Comickultur aufgewachsen ist, fließen immer wieder "Zong, Blong, Wäng oder Zisch" und rhythmische Untermalungen in bester Rapper-Manier mit ein.

Als politisch korrekte, aufgeklärte Bildungsbürger wären die aktiven Twenty/Thirty Somethings gern engagiert, um das Elend der Welt zu lindern, wenn sie nur die richtigen Lösungen für seine Beseitigung finden würden. Leider verfügen sie aber über so viel Wissen über die großen Zusammenhänge des Weltgefüges, dass ihnen zu jeder scheinbaren Lösung gleich ein passendes Gegenargument einfällt. So verharren sie im Zweifelsfalls lieber im debattierenden Nichtstun als einen Fehler in der Strategieplanung zu begehen. Außerdem wird es ihnen auch manchmal einfach zu viel die ganze Welt im Kopf zu bewegen. Wie schön wäre es, einfach zu den guten alten Lösungen des Faustrechts zurück zu kehren. Doch als akademische Gutmenschen wäre das natürlich nur peinlich. So pflegen sie weiterhin ihr schlechtes Gewissen bei der ständigen Selbstumkreisung, der das Zentrum schon lange verloren gegangen ist. Ein Miteinander findet nur noch beim gemeinsamen Nebeneinander im angesagten Bimmel-Bammel-Club und beim Laufen und Streiten gegen die fortschreitende Erderwärmung oder Globalisierung statt.

Ohne einzelnen Charakteren ein allzu persönliches Gesicht zu verleihen, schafft dieses Gastspiel des Staatsschauspiel Dresden in Zusammenarbeit mit dem Theaterhaus Jena es Typen zu zeichnen, die einen hohen Wiedererkennungswert haben. Dabei wurden wohl vertraute Standpunkte selten so gekonnt und prägnant auf den Punkt gebracht. Es gelingt dem Ensemble, ein bei aller Selbsterkenntnis durchaus unterhaltsames Bild einer gesellschaftlichen Befindlichkeit zu zeichnen, die um ihr Wohlsein zu steigern sich gerne auch noch mit dem Engagement für den Rest, dem es ja leider nicht so gut geht, schmückt. Ein äußerst sehenswertes Theaterstück, das in einer Stunde mehr aussagt und anregt als viele nicht in mehreren.

Birgit Schmalmack vom 9.6.02

Weitere Aufführungen finden am 29. und 30. Oktober im Thalia in der Gaußstraße statt.