Cyrano


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Fantasie verleiht Flügel

Nicht nur ein bekanntes Energiegetränk verleiht Flügel, sondern auch die Fantasie vermag die Menschen über ihren Alltag zu erheben. Das beweist Stefan Moskow mühelos in seinem "Cyrano" im Thalia Theater. Da wird die unaussprechlich große Nase des Hauptdarsteller zum Segel auf einem Boot und trägt ihn allein mit seinem Atem zu seinem Zielort. Da funktioniert er seinen allgegenwärtigen Degen wahlweise zu einem Billardstock, zu einer Angel, zu einer Fernsteuerung für seine Angreifer, zu einem Trinkbecher, einer Sammelbox beim Betteln oder zu einem Kerzenständer für eine Hochzeit um. Der Tausendsassa Cyrano (Peter Jordan) kann zwar so vieles - Fechten gegen hundert Mann zugleich, Dichten wunderschöner Verse, intelligente Überzeugungsarbeit leisten und fast selbstlos lieben - aber leider stürzt er immer wieder in seine leider erfolglose Realität herab. Seine angebetete, wunderschöne Roxane (Judith Rosmair) ist begreiflicher Weise wenig erpicht auf eine Verbindung zu diesem allseits belächelten, hässlichen Mann. So kann der begabte Tropf noch so geschickt umherwirbeln und alle seine Nebenbuhler mit Leichtigkeit an Talenten und Herzlichkeit übertreffen - seine Geliebte hat keine Augen für ihn. Sie hat ihr Herz an den tumpen Schönling Christian verschenkt. Damit der bei der Schönen landen kann, benötigt er allerdings die Schrift- und Verskunst von Cyrano. Der lässt sich auf den Handel ein, um wenigstens ein Krümelchen von dieser Liebe zu erhaschen.

Moskow findet wunderbare Bilder für diese vergebliche Liebesmüh. Für die Balkonszene erschafft der geschickte Cyrano zunächst mit ein paar gezielten Luftschwüngen seines Degens eine passende Kulisse mit Mond und Sternen. Als er dann bei der folgenden Umwerbung der zarten Schönen auf dem Balkon dem einfallslosen Christian (Hinnerk Schönemann) soufflieren muss, steht Roxane so, dass ihr Schatten von dem Vorsager und ihr Körper von dem Sprecher liebkost werden kann.

Moskow schafft es, die Altertümlichkeit dieser Degengeschichte um viel Feind und Ehr zu entstauben. Mit viel Pantomime, Slapstick und Überzeichnung macht er seine ironischen und karikierenden Anmerkungen zu den Figuren, deren Gehabe so leicht erträglich wird. Ihre schillernden, übertreibenden Kostüme von Svila Velichkova unterstreichen diese Wirkung einfallsreich. Die Drehbühne des Thalia Theaters findet bei dieser Inszenierung häufige Verwendung, um die Figuren aus dem Nichts auftauchen und verschwinden zu lassen. So steht Roxane immer wieder im Vorderbereich und Cyrano fährt in stets bemühter Hoffnung auf dem Innenkreis mit ausgebreiteten Armen an ihr vorbei. Das Bühnenbild (Tchavdar Guzelev) versetzt mit Strichzeichnungen, effektvollen Scherenschnitten und Lichteffekten in eine Traumwelt, die das Vorbild eines Robert Wilson wohl nicht ganz verhehlen kann.

Peter Jordan vermag den heldenhaften Looser mit einer solchen Leichtigkeit und Unangestrengtheit zu spielen, dass er sowohl in Otto-Waalkes-Manier mit wehenden Haaren über die Bühne flitzen wie auch mit seiner hilflosen Liebe zu Mitleid rühren kann. Seine Gebrochenheit bleibt hinter der Fassade seiner Kampfeskraft immer spürbar. So kommen die stillen Momente nicht zu kurz. Während der erste Teil nur so von Einfällen überquillt, gönnt Moskow dem Stück im zweiten Teil die nötige Besinnlichkeit. Er konzentriert sich auf die Personen und lenkt nicht durch weitere Bühnenbildeffekte ab. Roxane erkennt ihre Blindheit, als es schon zu spät ist. Christian hatte sie gleich nach der Hochzeit im Kriegsgetümmel verloren und konnte ihn so zu einem Liebesdenkmal erheben, doch Cyrano ist ihr 14 Jahre als Freund treu geblieben. Erst als er unehrenhaft durch einen Knecht erschlagen wird, kommt ihr die Erleuchtung, wen sie in Wahrheit die ganze Zeit geliebt hat. Die ganze Vergeblichkeit - die riesige Illusion von Liebe überhaupt - drückt sich in der letzten Szene zwischen den beiden aus.

Wenn die Fantasie Cyrano im Leben auch nicht zu Liebe und Ruhm verholfen hat, so gönnt Moskow ihm nach seinem Ableben das verdiente Happy End. Die hintere Wand zerreißt zu einer Himmelsleiter, auf der sein Geist den schönen Körper seinen Ex-Rivalen treffen und sich mit ihm vereinigen darf.

Ob dieses Stück nun eine Komödie, eine Tragödie, ein Märchen oder doch ein Lehrstück ist, vermag man am Ende nicht zu entscheiden. Vielleicht hat es von allem etwas und ist deshalb in seiner Umsetzung so gelungen. Seiner Moral kann man sich kaum verschließen, wenn sie so freundlich, witzig und unterhaltsam verpackt daherkommt. Ab sofort wird auf die inneren Werte geschaut! Und der allgemein zu beklagenden Oberflächlichkeit abgeschworen! Wenigstens solange bis die Fantasie-Energie von Moskow noch in den Himmel seiner schönen, klar strukturierten Traumwelt trägt.

Birgit Schmalmack vom 20.03.03