Selbstfindung auf norddeutsch

Warum hat jeder mehr Leben in sich, als er eigentlich braucht? Das fragt sich die Ehefrau und Mutter Frauke Schütt. Ihr ist ihre Lebendigkeit im Laufe ihres 42-jährigen Lebens abhanden gekommen. Sie verbringt ihre Ehefrauentage in ihrer Einbauküche und erzählt ihre Kümmernisse aus Ermangelung anderer Zuhörer ihrer Küchenwand. Ihr Göttergatte Heiko ist mittlerweile zu einem griesgrämigen Gewohnheitstier geworden, der schon an einen Kulturschock erlebt, wenn er nur mal nach Norderstedt fährt. Als sie eines Tages das 11. Gebot missachtet, ihm am Donnerstag keine Frikadellen serviert und er ihr die Ersatzspiegeleier auf den Schoß kippt, steht für sie der Entschluss fest: Sie wird das Angebot ihrer Freundin Brigitte, mit ihr nach Korfu zu fliegen, annehmen. So findet Heiko eines Tages statt des Abendessens einen Zettel mit den dürren Worten vor : "Bin in Griechenland. Komme in 14 Tagen wieder."

Wie Frauke Schütt wieder zu Frauke Petersen wird, wie sie ihre Lebensfreude wieder entdeckt, wie sie von einer Mutter und Ehefrau wieder zu einem Individuum wird, das verkörpert Herma Koehn brillant. Hier stimmt jeder Ton. Wenn der Text von Willy Russell ab und zu ins leicht Betuliche abzurutschen droht, schafft es Herma Koehn mit deutlichem trockenen norddeutschen Einschlag den drohenden Kitsch gekonnt zu umschiffen. Man kann Frauke Petersen Schlusserkenntnis nur zustimmen: Wenn ich mir auf der Straße begegnen würde, würde ich denken: Eine sympathische Frau. Herma Koehn macht "Die Heilige Johanna der Einbauküche" auch fast 10 Jahre nach der plattdeutschen Uraufführung im Winterhuder Fährhaus zu einem Erlebnis.

Birgit Schmalmack vom 12.7.04