Das Schicksal des Menschen ist der Mensch

Daniel Westen wollte dem Banalen auf den Grund gehen und die Brechts Missverständnisse in seinem Stück "Die Mutter" ans Licht bringen. Das ist ihm in seiner Inszenierung im Rahmen des Jungen Forum Musiktheater gelungen. Sehr reduziert, gemächlich und konzentriert beleuchtet er die Fakten von Brechts Lehrstückfall, analysiert die Zusammenhänge und überprüft gewissenhaft die Schlussfolgerung des Autors.

Die Mutter von Pawel muss mit ansehen, wie ihr Arbeitersohn immer weniger Geld für seine Schufterei in der Fabrik bekommt. Er schließt sich der kommunistischen Arbeiterbewegung an, die die ersten Streiks organisieren. Im Zarenreich Anfang des 19.Jahrhunderts ist das eine lebensgefährliche Angelegenheit. Um ihren Sohn schützen zu können, steigt die Mutter kurzerhand mit ein. Ihr Sohn wird dennoch verhaftet und hingerichtet. Ihre erlernte Stärke, die nie etwas für sich fordert, lässt sie weiter an die gute Sache glauben und dafür kämpfen.

Claudia Reimer ist eine wundervoll ausdrucksstarke Besetzung der Mutter. Sie macht die Verantwortung, die anerzogene Uneigennützigkeit, Tatkraft, aber auch ihre schwachen Momente und Trauer gleichermaßen sichtbar und nachfühlbar. Ihr ungestümer, jugendlicher Sohn (Martin Reese) glänzt besonders in seinen Gesangssoli. Die Beteiligten, die zum Teil in Mehrfachbesetzungen zum Gelingen des Abends beitragen, tragen Kostüme von exquisiter Qualität. Nina Springsguth hat hervorragende Arbeit geleistet. Ihre Uniformen, speziell der Polizisten, bescheren dem kargen Bühnenbild (auch Daniel Westen) einige durchdachte Hingucker. Das Eisler-Ensemble begleitete die eingestreuten Sprech/Gesangs-Einlagen zu der Musik von Hans Eisler souverän. Die Darsteller hatten es allerdings manchmal etwas schwer, mit ihren leiseren Stimmen mit dieser Professionalität mithalten zu können.

Westen schält gekonnt Brechts dogmatische Sichtweisen mit feiner Ironie heraus, indem er durch kleine Gesten stets einen winzigen Kontrapunkt zum Gesagten setzt. So zeigt er zum Beispiel deutlich die militärischen Strukturen der Gewerkschaftsbewegung auf, die denen der Polizei und der Soldaten kaum nachstehen. Westen legte die Inhalte des heute schwer erträglichen Lehrstücks frei und ist dabei mit viel bedächtiger Ernsthaftigkeit vorgegangen. So kommt er- wohl abgewogen - als Kind des 20. Jahrhunderts zu seiner heutigen, modernen Erkenntnis: Ideen, die das Individuum vernachlässigen bzw. sogar negieren, sind unmenschlich und müssen scheitern.

Birgit Schmalmack vom 11.7.02