Emilia Galotti



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Zeitreise

Herrscherwillkür, Ehre, Tugend - große Begriffe, die in heutiger Zeit ihre Bedeutung fast verloren haben. In Lessings Drama "Emilia Galotti" bestimmen sie die Gefühle, Handlungen und Gedanken aller Beteiligten. Wenn es heutzutage inszeniert wird, muss sich die Regie immer die Frage stellen, wie sie angesichts dieser Voraussetzungen das Stück auf die Bühne bringen möchte. Kay Neumann am Ernst Deutsch Theater entschied sich für eine texttreue Umsetzung. Er nimmt den Stoff ganz ernst, deutet ihn nicht um und nimmt die Zuschauer so mit auf eine psychologische Zeitreise ins 18. Jahrhundert.

Die äußeren Attribute verraten das nicht: Die Kostüme sind schlicht und zeitlos. Die Bühne ist eine leere Fläche, die von verschieb- und faltbaren Kassettenwänden begrenzt wird. Immer wieder neue Räume können so geschaffen werden. Die Türen in den Wänden öffnen und schließen sich wie von Geisterhand.

Der Herzog (Markus Friedmann) hat Emilia (Anna-Maria Kuricova) nur einmal gesehen und gesprochen. Sofort hat er sich in sie verliebt und seine vorherige Gespielin Gräfin Orsina (Viola Neumann) abgemeldet. Doch Emilia ist eine Bürgerstochter und ihre Verheiratung ist bereits für die heutigen Tag angesetzt. Da gilt es schnell zu handeln, wenn die spontan entfachten Liebesqualen des Herzogs von seinem dienstbaren Geist am Hofe, dem Kammerherrn Marinelli (Thomas Schreyer), gelindert werden sollen. Als virtuoser Strippenzieher ist er der eigentliche Dirigent der Geschicke aller Beteiligten. Also wird die Hochzeitsgesellschaft überfallen, der Ehemann ermordet und die Braut entführt auf das Lustschloss des Herzogs. Emilias Vater (Steffen Gräbner) eilt dorthin. Doch auch er ist machtlos. Er und seine Tochter wissen, dass Emilia keine Chancen hat, sich aus den Fängen des Herzogs unbeschadet an Ehre und Ruf zu befreien. Also bittet die Tochter den Vater, sie durch einen schnellen Stich als unschuldige Seele sterben zu lassen.

Das Ensemble spielt konzentriert und mit klaren Rollenzeichnungen. Besonders Anna-Maria Kuricova als Emilia kann die inneren Konflikte der sittenstrengen Tochter, die mit sich und ihren Gefühlen und Vorstellungen ringt, wunderbar überzeugend interpretieren. Die Körpersprache der Darsteller ist reduziert und zeugt von strenger Selbstdisziplin. Nur Marinelli und Orsina machen eine Ausnahme: Thomas Schreyer gibt seinen Marinelli mit manierierter Sprechweise und stilisierten Bewegungen einen ganz eigenen Charakter. Viola Neumann tritt als selbstbewusste, kämpferische Frau auf, die sich nicht scheut alle Waffen einzusetzen, die ihr als weiblichem Wesen zur Verfügung stehen.

Regisseur Kay Neumanns klarer Blickwinkel auf das wohl bekannte Stück führte zu einer interessanten Interpretation, die Emilias Lage nachfühlbar werden ließ, auch wenn sie sich von unserer heutigen Erfahrungswelt stark unterscheidet.

Birgit Schmalmack vom 27.6.08